Albrecht Schöne „Erinnerungen"
Auch für den, der Vergangenes und Gegenwärtiges zu unterscheiden weiß, hält sie doch Warnungen bereit. …"
Es ist eine bewegende Reise, zu der Albrecht Schöne, die graue Eminenz der Nachkriegsgermanistik, in seinem Lebensbericht mit dem bescheidenen Titel „Erinnerungen“ einlädt. 2020 im Wallstein Verlag erschienen. Eigentlich waren die Erinnerungen nur für die Enkelkinder gedacht, doch Thedel v. Wallmoden, sein ehemaliger Student und Gründer des WallsteinVerlags, konnte ihn zu einer Veröffentlichung bewegen. Im Zeitraffer erlebt der Leser detail- und facettenreich ein Jahrhundert lebendige Geschichte.
Albrecht Schöne, wird 1925 in Barby an der Elbe geboren. „Er hat zwei Arme!“ ruft der Vater, dem im ersten Weltkrieg 1917 in Flandern sein rechter Arm abgeschossen wurde, „unter Tränen“ aus.
14 Jahre später, 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg und Albrecht Schöne wird im Laufe des Krieges Teil einer Panzertruppe an der Ostfront. Im Sommer 1944 findet er während eines Genesungsurlaubs im Bücherregal des Vaters das Buch „Geschichte des Nationalsozialismus“ von Konrad Heiden, verlegt vom Rowohlt-Verlag 1932.
Heiden, der 1933 in die Schweiz emigrierte, beschreibt Hitlers Lebensweg und die „Frühzeit seiner Partei – bis hin zur Septemberwahl von 1930, bei der die Zahl ihrer Reichtagsmandate von zuvor 12 auf 107 eskalierte. […] und dann den ungeheuerlichen Satz unseres obersten Kriegsherrn […]: „Glauben Sie mir, der ganze Nationalsozialismus wäre nichts wert, wenn er sich nur auf Deutschland beschränkte und nicht mindestens ein- bis zweitausend Jahre lang die Herrschaft der hochwertigen Rasse über die ganze Welt besiegelte.“
Im Herbst 1964 gehört Albrecht Schöne, nun Germanistikprofessor an der Georg-August-Universität in Göttingen, zu den „Rebellen“, die eine Aufarbeitung der politischen Verstrickungen der Germanistik im Nationalsozialismus einfordern. In der „Erklärung der Göttinger Sieben“ schreiben sie: „Die Verpflichtung der Wissenschaft kann nicht wörtlich genug genommen werden. Sie schließt den Auftrag ein, auch der ,dunklen Jahre' der Universität ohne Scheu zu gedenken, ebenso frei von ängstlicher Beschönigung wie von moralischer Überheblichkeit, aber auch die Mahnung nicht zu glauben, daß die Stunde der Anfechtung niemals wiederkehren könne.“ Und sie bieten mit dieser Erklärung die Steilvorlage für die Tagung des Deutschen Germanistenverbandes, dem Universitätslehrer und Lehrer an höheren Schulen angehören, im Oktober 1966 in München.
Zwei Jahre später, 1968 kämpfen Studenten nicht nur gegen verkrustete Universitätshierarchien und -strukturen. Auch sie fordern offensiv mit Parolen wie „Unter den Talaren / Muff von 1000 Jahren“ eine Entschleierung nationalsozialistischer Umtriebe und „Dienstbarkeit weiterhin amtierender älterer Professoren“. Albrecht Schöne erlebt und schildert allerdings auch die „finstere Rückseite“, der von den 68ern „erfolgreich hochgehaltene(n) Medaille“ der Studentenrevolte. Schilderungen über Anfeindungen und Verletzungen, die heute sicher nicht nur viele Alt-68er ins Grübeln bringen und trotz damaligem jugendlichem Sturm und Drang schwer zu fassen sind.
Aufschlussreich und wichtig sind seine Ausführungen über die Entwicklung und Veränderung der deutschen Universität und die Verschulung des Studiums, ebenso bereichernd sind seine persönlichen Begegnungen u.a. mit Benno v. Wiese, Paul Celan, Ruth Krüger, Lew Kopelew, Günter Grass, Gershom Sholem, Peter Szondi …
Und so können wir heute Albrecht Schöne nur danken, dass er auch die Kinder- und Enkelgeneration außerhalb seiner eigenen Familie an seinem Leben, seinen Begegnungen, Erfahrungen und Erlebnissen, seiner Lehrtätigkeit, wissenschaftlichen Reflexion und Auseinandersetzungen hat teilhaben lassen.
Denn:
„Wieder und wieder so.
Lernt man aus der Geschichte wirklich allein, dass aus ihr nichts für später gelernt werde?
Auch für den, der Vergangenes und Gegenwärtiges zu unterscheiden weiß, hält sie doch Warnungen bereit.“