Wenn Türkisch ... Abiturfach sein könnte

„Wie wäre es, wenn Türkisch überall auch ein Abiturfach sein könnte…!?“

Fragt die Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz.

In Deutschland hat jedes dritte Kleinkind einen Migrationshintergrund und könnte bei entsprechender Förderung „spielerisch“ zweisprachig aufwachsen – ein Potenzial, das in einer globalisierten Welt von enormen Vorteil ist. Doch die Realität sieht in Deutschland anders aus. Nur wenige erkennen den brachliegenden Schatz, der in der potentiellen Mehrsprachigkeit liegt. „Selbstverständlich sollen alle Deutsch lernen, aber warum wir all die weiteren vorhandenen Potenziale in unserem Land so leichtfertig vergeuden, werde ich wohl nie verstehen.“ Wundert sich Aydan Özoguz. Sie ist 1967 als Kind türkischer Eltern in Hamburg geboren. 1989 hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft erworben. Seit 2009 ist sie Mitglied des Bundestages. Renate Müller De Paoli hat mit Aydan Özoguz über diese Verschwendung von geistigem und kulturellem Reichtum gesprochen.

Aydan Özoguz

Aydan Özoguz

Frau Özoguz, Sie sind 1967 als Kind türkischer Eltern in Hamburg geboren, und heute Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Sie sind also de facto in 2 Kulturen und auch 2 Sprachen groß geworden. Ist das in einer globalisierten Welt nicht für ein Kind ein enormer Vorteil?

Mehrsprachigkeit und Erfahrungen in verschiedenen Kulturen weiten natürlich den Horizont. Als Kind ist man sich dessen ja noch gar nicht im vollen Umfang bewusst. Aber später hat man möglicherweise eine etwas größere Gelassenheit und ganz selbstverständlich – im Gegensatz zu einsprachigen Menschen – auch die Möglichkeit mit viel mehr Menschen direkt zu sprechen und sie zu verstehen.

Deutschland hat – wie andere Länder auch – im Ausland deutsche Schulen errichtet. Dieses Beispiel zieht der türkische Ministerpräsident Erdogan für seinen Vorschlag heran, auch in Deutschland türkische Schulen aufzubauen. Ist das nicht eigentlich in jedem Land ein Rückschritt, da Kindern das wirkliche Kennenlernen einer neuen Kultur genommen wird.

Ich finde grundsätzlich das Engagement für Schulen erst einmal gut. Es ist müßig darüber zu diskutieren, wie Herr Erdogan es nun genau gemeint hat. Fakt ist: Es gibt in Deutschland längst türkische Privatschulen, die nach unseren Regeln hier gegründet werden und bei denen selbstverständlich auch Deutsch unterrichtet wird. Diese Schulen macht attraktiv, dass dort eben auch Türkisch unterrichtet wird und zwar auf einem hohen Niveau. Man stößt in Deutschland einfach auf zu viel Ablehnung, wenn es um Sprachen wie Türkisch, Arabisch oder mittlerweile auch Russisch geht. Und darunter litt in den vergangenen Jahrzehnten auch der Muttersprachenunterricht an den meisten Schulen – wenn er denn überhaupt angeboten wurde. Mittlerweile müssten wir wohl eher von Herkunftssprachen sprechen.

Gäbe es denn überhaupt genügend Schüler, die eine türkische Schule besuchen würden. Immerhin sprechen wir in Deutschland über türkische Kinder in der zweiten und dritten Generation !

Das kann nun ausprobiert werden. Wir haben sicherlich genügend türkischstämmige Schülerinnen und Schüler. Außerdem richten sich diese Schulen auch bewusst an Deutschstämmige, die Interesse an der türkischen Sprache und Kultur haben. Viele in Deutschland wissen gar nicht wie hoch die Zahl derer ist, die heutzutage in die Türkei auswandern, weil sie dort sehr lukrative Arbeitsplätze angeboten bekommen. Aber selbst wenn wir ein gemeinsames Lernen auf solchen Schulen in der Fläche organisieren können, muss man sich wohl von dem Gedanken verabschieden, wir würden damit alle unsere Integrationsprobleme lösen. Wir sprechen hier von Gymnasien und Privatschulen, auf die letztlich wieder Kinder von meist engagierten oder bildungsbewussten Eltern gehen. Ich sehe bei den Grundschulen die größte Chance: Dort muss den Kindern von vornherein mehr Lust am Lernen und mehr Selbstbewusstsein vermittelt werden. Denn die Kompetenzen der Kinder – so rudimentär sie in der Herkunftssprache mitunter auch sein mögen – sollten frühestmöglich aufgegriffen und gefördert werden.

Sprachwissenschaftler, wie die Kölner Sprachwissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Maria Riehl – sie leitet seit 2005 das Zentrum „Sprachenvielfalt und Mehrsprachigkeit – unterstreichen, wie wichtig es ist, dass Kinder möglichst früh, also schon im Kindergarten weitere Sprachen lernen. Da Kinder schnell und spielerisch lernen, bieten sich für Riehl besonders die Sprachen an, die von Kindern gesprochen werden, mit denen die Kinder im Kindergarten und in der Schule regelmäßig zusammen sind, also Türkisch, Russisch, Italienisch, Spanisch etc.. Denn jedes dritte Kind in Deutschland hat einen Migrationshintergrund. Also z.B. Türkisch als erste Fremdsprache, was halten Sie davon?

Die Realität in unserem Land zeigt uns, dass Kinder, die zweisprachig sind, in der Sprachentwicklung etwas länger brauchen. Und dies wird von vielen als Mangel angesehen. Statt sie zu fördern, hören wir nur politische Parolen, die sollen alle Deutsch lernen. Selbstverständlich sollen alle Deutsch lernen, aber warum wir all die weiteren vorhandenen Potenziale in unserem Land so leichtfertig vergeuden, werde ich wohl nie verstehen. Jeder sollte ein ausreichendes Angebot erhalten, d. h. Türkisch muss nicht unbedingt erste Fremdsprache sein, aber wie wäre es, wenn Türkisch überall auch ein Abiturfach sein könnte. Aber dann bitte auch mit hochqualifizierten Lehrern, um die wir uns im Übrigen auch nicht wirklich bemühen.

Integration beginnt ja eigentlich mit dem Interesse, der Neugierde und der Bereitschaft sich auf die andere Person einzulassen, ihn wirklich kennenlernen zu wollen, was ja offensichtlich über die touristischen Anziehungspunkte hinausgeht. Aus ihrer persönlichen Erfahrung was können Deutsche und Türken voneinander lernen?

Sehr viel. Ganz automatisch lernt man, dass es in Selbstverständlichkeiten und Lebensgewohnheiten große Unterschiede gibt. Das ist manchmal sehr lustig und manchmal treibt es den Einzelnen zum Wahnsinn. Aber genau das halte ich für eine hervorragende Vorbereitung auf das wahre Leben. Was in meiner Lebenswelt selbstverständlich ist, das kann bei meinem Nachbarn ganz anders sein. Oder auch nicht: Auch in meinem Freundeskreis gibt es welche, die niemals auf ihren Gartenzwerg verzichten würden…


Bildnachweis: © Aydan Özoguz / https://oezoguz.de/person

Kurzvita: Aydan Özoguz

Mitglied des Deutschen Bundestages, SPD-Fraktion

Geb.: 31. Mai 1967 in Hamburg, Familie: verheiratet, 1 Kind

Werdegang: 1986 bis 1994 Studium der Anglistik, der spanischen Sprache und Literatur sowie der Personalwirtschaft, Magister-Abschluss; 1989 deutsche Staatsbürgerschaft, seit 1994 Mitarbeiterin der Körber-Stiftung (Hamburg); 2001–2008 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft; 2009 Wahl in den Bundestag, Mitglied des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Mitglied der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“.

Engagement: 2003 bis 2006 Mitglied im Expertengremium der Schader-Stiftung für Zuwanderungsfragen; 2004 Mitglied der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten; Mitgliedschaften: 2004 - 2008 Integrationsbeirat Hamburg, seit 2004 Kuratorium der Muslimischen Akademie in Deutschland; seit 2004 Kuratorium des Islamisch-wissenschaftliches Bildungsinstituts; seit 2006 Stiftungsrat der Bürgerstiftung Hamburg. Seit 2009 stellvertr. Mitglied in den Kuratorien der Stiftung „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland „ und der Stiftung „Deutsches Historisches Museum“.

Deutscher Bundestag, Platz der Republik 1, 11011 Berlin

Tel: (030) 227 71801, Fax: (030) 227 76567, E-Mail: YXlkYW4ub2V6b2d1ekBidW5kZXN0YWcuZGU=@invalid , Internet: www.oezoguz.de

Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Donnerstag, 6. Mai 2010


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