Wilhelm von Humboldt

„So weit kann sich die Individualität nicht verlieren"

Das nachfolgende Zitat aus einem Brief von Wilhelm von Humboldt an Goethe fiel mir auf, weil es dem "Da kann man sowieso nichts machen" eine andere, die Wichtigkeit des Individuums betonende Weltsicht entgegenstellt. Es ist nicht ganz leicht, dieses Zitat zu verstehen. Man muss es sicher öfter Lesen und einiges vielleicht auch erraten, doch dann findet man darin eine Menge Zuversicht und Ansporn. (Ich hoffe Sie haben daran so viel Freude wie ich.)

Wilhelm von Humboldt

Wilhelm von Humboldt

Aus einem Brief von Wilhelm von Humboldt an Goethe, 6. Januar 1832:

«... Indes ist es mir auch, als wäre ich mehr als je bisher der Fall war, auf den Punkt gekommen, auf den sich alle meine früheren Arbeiten und Studien in eins zusammenziehen. Ich sehe dies als eine Mahnung an, der Dauer der Folgezeit nicht zu viel zu vertrauen, sondern die Gegenwart zu benutzen, daß, was ich wohl fühle, was aber noch unentwickelt und zum Teil unerwiesen in mir liegt, dargestellt und ausgeführt zugleich mit mir davon zu tragen und hinter mir zurückzulassen. Denn beides verbindet sich immer in meiner Vorstellung.
Man besitzt in Ideen nur ganz, was man außer sich dargestellt in andere übergehen lassen kann, und wie dunkel auch alles Jenseitige ist, so kann ich es nicht für gleichgültig halten, ob man vor dem Dahingehen zur wahren Klarheit des im langen Leben in Ideen Erstrebten gelanget oder nicht? So weit kann sich die Individualität nicht verlieren, und da es einmal in der Welt zwei Richtungen gibt, die wie Aufzug und Einschlag das geschichtliche Gewebe bilden, das immer abbrechende Leben der Individuen und ihre Entwicklung und die Kette des durch ihre Hilfe vom Schicksal zusammenhängend Bewirkten, so kann ich mir einmal nicht helfen, das Individuelle für die Hauptsache anzusehen, von welcher der Weltgang eine gewissermaßen notwendige Folge ist. Die Klarheit vor mir selbst bleibt mir daher, wenn ich nicht glaube, viel versäumt zu haben, das dringendste Motiv zur unausgesetzten Arbeit, und ich fühle mich glücklich, daß diese sich jetzt in mir in festeren Richtungen bewegt.»

Geschrieben von Steffen Brosig
Mittwoch, 1. August 2007


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