Franz Rosenzweig und sein Sprachdenken

Der Sprache vertrauen – der Totalität entsagen.

Nichts war mehr so, wie es vorher war! 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges zeichnen viele Rückblicke den Zusammenbruch von Kunst und Literatur, Staat und Gesellschaft.
Für Künstler, Literaten, Theologen, Philosophen, Lehrer und viele andere war es unmöglich, nach diesem Krieg einfach so weiter zu denken wie vorher. Das Werk Franz Rosenzweigs „Der Stern der Erlösung“, während des Krieges, den der Autor als Soldat im Balkan erlebte, geschrieben und 1921 veröffentlicht, gehört auch zu diesem Umbruch. Rosenzweig gilt für viele als der bedeutendste jüdische Denker im 20. Jahrhundert. Und wir würden heute sagen: Ein Denker, der einen wichtigen Beitrag zum interreligiösen Dialog leistete.

In Hannover sprach am 9. Mai 2014 der Berliner Autor Frank Hahn über sein Buch: Der Sprache vertrauen – der Totalität entsagen. Annäherungen an Franz Rosenzweigs Sprachdenken. Sein 2013 im Alber Verlag erschienenes Buch in der Hand, berichtete Frank Hahn über das Leben Franz Rosenzweigs. Der Philosoph war – nachdem „Der Stern der Erlösung“ ihn nach dem Ersten Weltkrieg bekannt gemacht hatte – in die Vergessenheit geraten und erst Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wieder entdeckt worden.

Das Wort als ein Ereignis zu verstehen, nicht als ein mit Information aufgeladenes, zwischen den kommunizierenden Partner hin und her geschobenes Ding – das war wohl der wichtigste Ausgangspunkt für Franz Rosenzweig. In einer Zeit, in der mit dem Anspruch der lückenlosen Erkenntnis der Welt durch die Vernunft eine Universalität des Denkens vorausgesetzt wurde, der niemand widersprechen kann, nennt Franz Rosenzweig sein Projekt das „Sprachdenken“, das „neue Denken“. Denn das in sich geschlossene Denkgebäude eines Hegels bezeichnet Rosenzweig als Vorplatz des ebenso geschlossenen Staatsgebäudes Bismarcks. Beide Gebäude zerbrachen im Ersten Weltkrieg.

Der 1886 in eine assimilierte jüdische Familie hineingeborene Franz Rosenzweig studierte zuerst Medizin, dann Geschichte und Philosophie. Trotz einer fertigen Dissertation zum Thema „Hegel und der Staat“ lehnte Rosenzweig eine akademische Karriere ab, die ihm offen gestanden hätte. Zunehmende Ressentiments gegen Juden hatten bei vielen seiner jüdischen Freunde zum Übertritt in die christlichen Kirchen geführt. Rosenzweigs Freund Eugen Rosenstock-Huessy, der schon sehr früh konvertiert war, sowie andere Weggefährten versuchten, auch Rosenzweig zu einem solchen Schritt zu bewegen. Franz Rosenzweig aber entschied, bevor er die Aufgabe des Judentums in Betracht zöge, zuerst zu erkunden, was dieses ihm bedeute bzw. was an und in ihm denn jüdisch sei. Er entschied im Jahre 1913, Jude zu bleiben und bei Hermann Cohen in Berlin jüdische Wissenschaften zu studieren. Rosenzweig begründete gemeinsam mit Martin Buber ein jüdisches Lehrhaus in Frankfurt am Main, eine Einrichtung, in der auch nicht-jüdische Wissenschaftler sprachen und dessen Dozentenliste viele bedeutende Persönlichkeiten enthielt. 1929 starb Franz Rosenzweig an den Spätfolgen einer Malariaerkrankung, die er sich im Krieg zugezogen hatte – in den letzten Jahren durch zunehmende Lähmungen nicht mehr fähig, sich zu bewegen oder zu sprechen.

Zuerst, sagt Rosenzweig im „Stern der Erlösung“, bedürfen wir der Zeit. Zuhören braucht Zeit, hinhören und abwarten, was der Andere als Nächstes sagen wird, braucht Zeit.
Das Wort ist nicht nur bestimmt durch die Definition dessen, was es bezeichnet. Es drückt auch aus, was derjenige, der spricht, denkt und fühlt. Im Sprechen geschieht etwas: bitten, flehen, tadeln, anklagen, verzeihen.
Und es bedarf des „Du“. So findet der Weg zum „Ich“ über das „Du“. Für Rosenzweig, erläuterte Hahn, bedeutet der Schöpfungsprozess eine grammatikalische Entwicklung vom „Du“ zum „Ich“, vom „Ihr“ zum „Wir“. Von Anfang an sei die Welt „Eigenschaft“ und nicht eine Ansammlung von Klassen und Gattungen (Schöpfungsgeschichte: Und Gott sah, dass es gut war). Die Betonung des „Du“, des „Anderen“ als Voraussetzung für das „Ich“ führt Rosenzweig zur Bezeichnung der Liebe als bestimmendes Geschehen überhaupt.

Frank Hahn betonte, dass seine eigene Auseinandersetzung mit Rosenzweig seinen Ursprung in der Suche nach einem Ausweg aus festgefahrenen Denkmustern und Denksystemen genommen hatte. Eine Suche, die der Zuhörer gut nachvollziehen kann. Die Gedanken Rosenzweigs erscheinen dem neuen Leser bzw. Zuhörer als schwebend, unklar, suchend, vage. Das ist gerade die Absicht des Philosophen, der den absoluten Anspruch auf klar benennendes, bemessendes, einteilendes und beurteilendes logisches Denken für den Zusammenbruch verantwortlich macht. Das Sprechen ist wie ein dünner Faden, mit dem der Sprechende sein Suchen nach dem Anderen, nach der Welt und nach Gott vollzieht. Und in dem alles unfertig bleibt, weil sich ständig alles neu schafft und verändert.

In der Diskussion kam das Übersetzungsprojekt des Alten Testaments zur Sprache, das Rosenzweig zusammen mit Martin Buber während ihrer gemeinsamen Zeit im Jüdischen Lehrhaus abgeschlossen hatte. Wie konnte Rosenzweig, für den das Sprachgeschehen gerade in den Schriften wirksam war, durch eine Übersetzung festlegen, was die Worte bedeuten?
Kritische Überlegungen zu seiner Kritik der Logik bezogen sich auf die Frage, wo die Naturwissenschaft im „Sprachdenken“ ihren Platz finden solle und müsse. Was passiere denn, wenn das „Sprachdenken“ politisch missbraucht werde? Wo lägen die Maßstäbe für das, was im Sprechen geschieht.
Auch Frank Hahn formulierte: Können wir der Sprache vertrauen? Oder anders ausgedrückt: Welcher Sprache sollten wir misstrauen?

Franz Rosenzweig: „Die Sprache ist wahrhaftig die Morgengabe des Schöpfers an die Menschheit und doch zugleich das gemeinsame Gut der Menschenkinder, an dem jedes seinen besonderen Anteil hat, und endlich das Siegel der Menschheit im Menschen. Sie ist ganz von Anfang, der Mensch wurde zum Menschen, als er sprach.“

Geschrieben von Birgit Brenner
Donnerstag, 16. Mai 2014

Der Sprache vertrauen – der Totalität entsagen.

In Hannover sprach am 9. Mai 2014 der Berliner Autor Frank Hahn über sein Buch.


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