„Ich bin als Emigrantenkind geboren.“

(Mascha Kaléko)

„Ich bin als Emigrantenkind geboren.“, schreibt 1932 die Lyrikerin Mascha Kaléko, deren 50. Todestag sich am 21. Januar dieses Jahres jährte, in ihrem Gedicht „Interview mit mir selbst“. Mascha Kaléko wird am 7. Juni 1907 in Schidlow in Westgalizien, ca. 50 km westlich von Krakau, im heutigen Polen, geboren. Es ist damals eines der ärmsten Gebiete an der östlichen Grenze der Habsburger Monarchie. Ihr Vater hat die russische Staatsangehörigkeit, ihre Mutter die österreichische. Wie viele Ostjuden flieht die Familie mit Beginn des Ersten Weltkrieges gen Westen, Mascha ist gerade mal sieben Jahre alt. Nach einer langen Odyssee landet die Familie über Zwischenstationen in Frankfurt/Main und Marburg/Lahn 1918 in Berlin, Mascha ist jetzt 11 Jahre alt.

Foto von Mascha Kaléko

Mascha Kaléko

Mascha Kaléko kennt dieses Gefühl des Heimatlos-Seins, des Nicht-Dazugehörens, das nicht nur ihre Kindheit, sondern auch ihr Leben bestimmt hat, nur zu gut, ist es doch auch in vielen, ihrer Gedichte immer spürbar. Aber erst Jahrzehnte nach der Flucht kann sie es in Worte fassen, wenn sie von der „alten Wobinichdennangst” spricht, so 1974, ein Jahr vor ihrem Tod in Notizen:

„…Und immer fremdere Nachbarn

Und andere Dialekte

Die alte Wobinichdennangst

Das feindliche Bett im Nirgendwo“

In Berlin beginnt Mascha Kaléko, neben ihrer Bürolehre im Arbeiterfürsorgeamt, Gedichte zu schreiben. Schnell erobert sie sich mit ihren „Stenogrammen” aus dem Berliner Alltagsleben, mit dieser für sie typischen Mischung aus Lyrik und Spott, Sentimentalität und Ironie die Herzen der Leser. Kess spricht sie aus, was Menschen erleben und fühlen. Im Januar 1933 gelingt ihr dann mit dem „Lyrischen Stenogrammheft” der große Durchbruch. Es wird ein Bestseller des Rowohlt-Verlages. Zwei Monate später, im Mai 1933 beginnen in Deutschland die Bücherverbrennungen. Das Rowohltarchiv wird zweimal abgebrannt. Am 8. August 1935 wird auch Mascha Kaléko aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und erhält Berufsverbot. Im Januar 1937 wird das “Lyrische Stenogrammheft” in die “Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums” aufgenommen. Jedoch erst im September 1938, kurz vor der Kristallnacht, emigriert sie mit ihrem Mann, dem Musikwissenschaftler Chemjo Vinaver und ihrem kleinen, zweijährigen Sohn Evjatar in die Vereinigten Staaten.

Nicht auszudenken, welcher lyrische Schatz uns verloren gegangen wäre, wenn sich damals die Rufe nach Abschottung, dem Bau von Mauern und die Schließung von Grenzen, die zurzeit in Deutschland die Diskussion bestimmen, durchgesetzt hätten. Ein Gedanke, der bei der heutigen, weltweit großen Fangemeinde von Mascha Kaléko größtes Entsetzen auslösen wird. Um das Ausmaß eines solchen Verlustes vielleicht besser einschätzen zu können, sei auch für diejenigen, denen ihre Dichtkunst noch nicht so vertraut ist, auf frühere Beiträge auf der Convivio-Seite verwiesen wie z.B. die Interviews mit Gisela Zoch-Westphal, ihrer Freundin und Nachlassverwalterin, Dezember 2007 und mit Jutta Rosenkranz, der Herausgeberin des vierbändigen Kaléko-Gesamtwerks, August 2013, wie auch auf den Bericht über die Kaléko-Ausstellung im Berliner Literaturhaus, kuratiert von Jutta Rosenkranz zum 100ten Geburtstag der Dichterin, Dezember 2007.

Vielleicht hätte sie auch ihr Gedicht Die frühen Jahre, geschrieben 1975, ihrem Todesjahr, dann nie schreiben können. Hier heißt es u.a.:

„…Auf nichts war Verlaß.

Nur auf Wunder.

Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,

(…)

Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,

Fror ich mich durch die finsteren Jahre.

Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.“

Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Samstag, 8. Februar 2025

zum 50. Todestag von Mascha Kaléko

„Ich bin als Emigrantenkind geboren.“
(Mascha Kaléko)


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