Zu Tische, Gast!


Mit diesen Worten bittet in Conrad Ferdinand Meyers (1825-1898) Gedicht “Die Füße im Feuer” ein hugenottischer Schlossherr seinen Gast, einen Kurier Ludwigs XIV, der vor einem gefährlichen Gewitter bei ihm Zuflucht gesucht hat, zu Tisch. Nach einer knappen Beschreibung des Unwetters gibt uns Conrad Ferdinand Meyer gleich zu Beginn des Gedichtes eine wichtige Charakterisierung des Schlossherrn, der auf den Befehl des Soldaten: "Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!" einfach menschlich antwortet: "Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert's mich? Tritt ein und wärme dich! … " Nichts ahnend spricht der Hugenott diese Einladung aus und nichts ahnend betritt der Reiter den Ahnensaal.
Doch Ahnenbilder und das Flackern des Herdfeuers rufen bei dem Soldaten schnell die Erinnerung wieder wach, wie bei den Kindern des Gastgebers der Anblick des Soldaten.

C.F.Meyer
C.F.Meyer

“Der Kinder Blick
Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
- "Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sind's ... Auf einer Hugenottenjagd
Ein fein, halsstarrig Weib . . . 'Wo steckt der Junker? Sprich!'
Sie schweigt. 'Bekenn!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt.“

Die Szenerie ist klar! Dabei macht es keinen Unterschied, ob es um die grausamen Verbrechen - besonders nach der Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes unter Ludwig XIV - im 17. Jahrhundert während der Hugenottenverfolgung geht, die eine Fluchtwelle von einer viertel Million Menschen auslöste., ob wir in der Geschichte noch weiter zurückschreiten oder in die Gegenwart voranschreiten: ob wir an die Gräuel während des 1. Weltkriegs denken oder an die Vernichtung von Menschenleben im 2. Weltkrieg und die Entwurzelung und Vertreibung von Millionen Menschen; ob wir uns die Verbrechen und Flüchtlingslawinen im Balkan, in Afghanistan oder Irak vor Augen halten; ob wir an den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, an Kindersoldaten und Völkermord in Afrika denken oder an die überhaupt noch nicht erfassten Folgen der Globalisierung.

Das “Menschsein” wird bedroht und vernichtet!

In “Die Füße im Feuer” weigert sich die Hugenottin selbst bei Androhung des Todes, dem Soldaten das Versteck ihres Mannes preiszugeben. Die Stärke und der Mut der Frau reizen den Soldaten so sehr, daß Meyer - tiefenpsychologisch absolut treffend und poetisch dicht - den Soldaten sich selbst analysierend sagen lässt:

”Ich werde wild. D e r Stolz! Ich zerre das Geschöpf ...
Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut ... 'Gib ihn heraus!' ... Sie schweigt ...
Sie windet sich.“


Meyer überlässt den weiteren grausamen Todesweg der Hugenottin unserer eigenen Vorstellung und zeigt uns sofort die von Angst und Panik getriebenen Überlegungen des Soldaten:

".. Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich."


Doch jetzt geschieht ein plötzlicher Szenenwechsel. Der Hausherr betritt den Raum und lädt ihn zum Abendessen ein:

"Du träumst! Zu Tische, Gast ..."


Er kann jedoch die Spannung bei Tisch nicht ertragen:

“Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an -
Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: "Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!"


Während ihm ein Diener den Weg zum Zimmer leuchtet, sieht er, wie der Sohn dem Vater ins Ohr flüstert. Der Leser ahnt, worum es geht: Die Wahrheit über den Tod der Mutter. In Panik verriegelt er die Tür, überprüft seine Pistole und sein Schwert und bereitet sich auf die von ihm erwartete Rache des Hausherrn vor. Endlich schlummert er ein und erlebt im Traum noch einmal die grauenhafte Tat der Verbrennung. Doch diesmal verbrennt nicht die standhafte Hugenottin sondern er selbst.

“Er träumt. "Gesteh!" Sie schweigt. "Gib ihn heraus!" Sie schweigt.
Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ... “


All seine Vorsichtsmaßnahmen sind nutzlos gewesen, denn der Hausherr rüttelt ihn plötzlich wach: "Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!" Er ist durch die Tapetentür in sein Zimmer gelangt und steht – offensichtlich schon lange - vor seinem Bett. Doch der Schlossherr, “dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar” ist durch den inneren Kampf, den er mit sich selbst führte , über Nacht völlig ergraut.

Der Hugenotte bringt seinen Gast noch auf den Weg, gemeinsam reiten sie durch den Wald und die herrliche Natur. Der Reiter “lauert” auf den Angriff und entscheidet sich endlich, selbst in die Offensive zu gehen:

"Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wisst, dass ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!"


Die Antwort, die Conrad Ferdinand Meyer dem Hugenotten “in den Mund und Herz” legt, könnte für den Soldaten des “größten” Königs, Ludwig XIV, und uns, den Leser, nicht klarer sein:

"Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst! ... Mein ist die Rache, redet Gott."

Mit dieser Aussage schickt Conrad Ferdinand Meyer den Leser in die Realität zurück – provoziert und sicher hoffend, dass ihm der “höchste Richter” zwar gerecht, aber doch gnädig und vergebend begegnen wird! Er ahnt, dass auch er Rechenschaft ablegen muß. “Der Gedanke ist der Vater der Tat!” wird hierbei dann der richterliche Maßstab sein!
Hat die Geschichte uns doch in vielen grausamen Beispielen gezeigt, wohin gefährliche Denkklischees, Vorurteile und. Unwissen führen, besonders wenn sie von “Rattenfängern” gezielt gesteuert werden.

Denken und Handeln lebt von der Neugierde, von dem “Kennenlernen-Wollen, dem Verstehen- und Wissen-Wollen” über den “Anderen” und “das Neue” – die Basis von menschlichem Zusammenleben und wirklicher Gastfreundschaft.

Deshalb sagen auch wir, die Mitglieder von “Convivio mundi” (Gastmahl der Welt) “Zu Tische, Gast” und laden Sie ein, uns und unsere Arbeit kennenzulernen. Gilt es nicht gerade heute das Verstehen von Kulturen, Religionen, Ethnien etc. auf das eigentliche, wesentliche Konzept zurückzuführen, nämlich die Idee des “Nächsten” in seiner fundamentalen Bedeutung: das Wissen und Ringen um das “Mensch Sein des Anderen”, um das eigene “Mensch Sein” zu finden!
“Die Poesie ist das Leben, gesehen in Reinheit und gefaßt in den Zauber der Sprache!” hat uns Jakob Grimm mit auf den Weg gegeben. Beherzigen wir es. Lernen wir uns und das Leben wirklich kennen und somit auch Lösungen für unsere heutige Zeit finden.

Die Füße im Feuer

Wild zuckt der Blitz. In fahlem Lichte steht ein Turm.
Der Donner rollt. Ein Reiter kämpft mit seinem Ross,
Springt ab und pocht ans Tor und lärmt. Sein Mantel saust
Im Wind. Er hält den scheuen Fuchs am Zügel fest.
Ein schmales Gitterfenster schimmert goldenhell
Und knarrend öffnet jetzt das Tor ein Edelmann . . .

- "Ich bin ein Knecht des Königs, als Kurier geschickt
Nach Nîmes. Herbergt mich! Ihr kennt des Königs Rock!"
- "Es stürmt. Mein Gast bist du. Dein Kleid, was kümmert's mich?
Tritt ein und wärme dich! Ich sorge für dein Tier!"
Der Reiter tritt in einen dunkeln Ahnensaal,
Von eines weiten Herdes Feuer schwach erhellt,
Und je nach seines Flackerns launenhaftem Licht
Droht hier ein Hugenott 1) im Harnisch 2), dort ein Weib,
Ein stolzes Edelweib aus braunem Ahnenbild . . .
Der Reiter wirft sich in den Sessel vor dem Herd
Und starrt in den lebendgen Brand. Er brütet, gafft ...
Leis sträubt sich ihm das Haar. Er kennt den Herd, den Saal ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.

Den Abendtisch bestellt die greise Schaffnerin
Mit Linnen blendend weiß. Das Edelmägdlein hilft.
Ein Knabe trug den Krug mit Wein. Der Kinder Blick
Hangt schreckensstarr am Gast und hangt am Herd entsetzt ...
Die Flamme zischt. Zwei Füße zucken in der Glut.
- "Verdammt! Dasselbe Wappen! Dieser selbe Saal!
Drei Jahre sind's ... Auf einer Hugenottenjagd
Ein fein, halsstarrig Weib . . . 'Wo steckt der Junker? Sprich!'
Sie schweigt. 'Bekenn!' Sie schweigt. 'Gib ihn heraus!' Sie schweigt.
Ich werde wild. D e r Stolz! Ich zerre das Geschöpf ...
Die nackten Füße pack ich ihr und strecke sie
Tief mitten in die Glut ... 'Gib ihn heraus!' ... Sie schweigt ...
Sie windet sich ... Sahst du das Wappen nicht am Tor?
Wer hieß dich hier zu Gaste gehen, dummer Narr?
Hat er nur einen Tropfen Bluts, erwürgt er dich."
Eintritt der Edelmann. "Du träumst! Zu Tische, Gast ..."

Da sitzen sie. Die drei in ihrer schwarzen Tracht
Und er. Doch keins der Kinder spricht das Tischgebet.
Ihn starren sie mit aufgerissnen Augen an -
Den Becher füllt und übergießt er, stürzt den Trunk,
Springt auf: "Herr, gebet jetzt mir meine Lagerstatt!
Müd bin ich wie ein Hund!" Ein Diener leuchtet ihm,
Doch auf der Schwelle wirft er einen Blick zurück
Und sieht den Knaben flüstern in des Vaters Ohr ...
Dem Diener folgt er taumelnd in das Turmgemach.

Fest riegelt er die Tür. Er prüft Pistol und Schwert.
Gell pfeift der Sturm. Die Diele bebt. Die Decke stöhnt.
Die Treppe kracht .. . Dröhnt hier ein Tritt? ... Schleicht dort ein Schritt? ...
Ihn täuscht das Ohr. Vorüberwandelt Mitternacht.
Auf seinen Lidern lastet Blei, und schlummernd sinkt
Er auf das Lager. Draußen plätschert Regenflut.
Er träumt. "Gesteh!" Sie schweigt. "Gib ihn heraus!" Sie schweigt.
Er zerrt das Weib. Zwei Füße zucken in der Glut.
Aufsprüht und zischt ein Feuermeer, das ihn verschlingt ...
- "Erwach! Du solltest längst von hinnen sein! Es tagt!"
Durch die Tapetentür in das Gemach gelangt,
Vor seinem Lager steht des Schlosses Herr - ergraut,
Dem gestern dunkelbraun sich noch gekraust das Haar.

Sie reiten durch den Wald. Kein Lüftchen regt sich heut.
Zersplittert liegen Ästetrümmer quer im Pfad.
Die frühsten Vöglein zwitschern, halb im Traume noch.
Friedsel'ge Wolken schwimmen durch die klare Luft,
Als kehrten Engel heim von einer nächt'gen Wacht.
Die dunkeln Schollen atmen kräft'gen Erdgeruch.
Die Ebne öffnet sich. Im Felde geht ein Pflug.
Der Reiter lauert aus den Augenwinkeln: "Herr,
Ihr seid ein kluger Mann und voll Besonnenheit
Und wisst, dass ich dem größten König eigen bin.
Lebt wohl. Auf Nimmerwiedersehn!" Der andre spricht:
"Du sagst's! Dem größten König eigen! Heute ward
Sein Dienst mir schwer ... Gemordet hast du teuflisch mir
Mein Weib! Und lebst! ... Mein ist die Rache, redet Gott."
Conrad Ferdinand Meyer


Bildnachweis

Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Sonntag, 11. März 2007

Wir verwenden Cookies um unsere Website zu optimieren und Ihnen das bestmögliche Online-Erlebnis zu bieten. Mit dem Klick auf "Alle Erlauben" erklären Sie sich damit einverstanden. Erweiterte Einstellungen