Antwort auf das Konzept der humanitären Korridore

Melanie Isabel Kröger, Referentin im Verbindungsbüro zur niedersächsischen Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf, schickte Convivio mundi am 22. November 2021 folgende Antwort auf das Konzept der „humanitären Korridore“ für Flüchtlinge, welches der Generalsekretär der Gemeinschaft Sant’Egidio, Dr. Cesare Zucconi, im Interview mit Renate Müller De Paoli entwickelt:

Sehr geehrte Frau Müller de Paoli,

Ihr Interview mit dem Generalsekretär der Gemeinschaft Sant’Egidio, Herrn Dr. Cesare Zucconi, hat Frau Doris Schröder-Köpf mit Interesse gelesen. Frau Schröder-Köpf hat mir aufgetragen, Ihnen für die Übersendung des Interviews zu danken und Ihnen zu antworten.

Grundsätzlich ist Herrn Dr. Zucconi zuzustimmen, dass angesichts der schrecklichen Situation in vielen Flüchtlingslagern außerhalb aber auch innerhalb der EU und an den Außengrenzen der EU größere Anstrengungen unternommen werden müssen, um das Leid der Geflüchteten zu mindern. Der Ansatz der Gemeinschaft Sant’Egidio, in begrenzter Zahl Flüchtlinge aus außerhalb der EU eingerichteten Flüchtlingslagern aufzunehmen, um ihnen die gefährlichen Fluchtwege zu ersparen, ist zu begrüßen, zumal er auch auf die Mitwirkung von Personen und Verbänden der örtlichen Zivilgesellschaft bei der Unterbringung und Betreuung der aufgenommenen Flüchtlinge setzt. Allerdings lässt sich das für Italien entwickelte Modell der humanitären Korridore nicht ohne weiteres auch auf alle anderen Mitgliedstaaten der EU übertragen, weil die Sozialleistungssysteme sich teilweise deutlich von dem in Italien unterscheiden.

Da Herr Dr. Zucconi in seinem Interview hinsichtlich der Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen vier Grundforderungen an die EU richtet, will ich darauf kurz reagieren:

1. Ausweitung und Verallgemeinerung der Praxis humanitärer Korridore

Die Aufnahme von Flüchtlingen, die sich außerhalb ihrer Herkunftsländer aufhalten und dort gefährdet sind oder keinerlei Lebensperspektive haben, kann in Zusammenarbeit mit dem UNHCR im EU-Resettlement-Verfahren erfolgen. An dieser Aufnahme im Resettlement-Verfahren beteiligen sich viele Länder der EU, so auch Deutschland. Allerdings sind die Aufnahmezahlen seit Jahren nur sehr gering. Hier wäre eine deutliche Erhöhung erstrebenswert, damit sich nicht so viele Flüchtlinge auf gefährliche Fluchtwege und Schleuser einlassen, sondern auf eine Aufnahme im legalen Verfahren warten können. Ein weiteres Problem stellen die Flüchtlingslager im Süden Europas dar. Hier würde es helfen, wenn alle übrigen EU-Mitgliedstaaten sich solidarisch verhalten und die besonders betroffenen Länder Griechenland und Italien entlasten würden. Das seinerzeit dazu entwickelte EU-Relocation-Verfahren ist leider weitgehend wirkungslos geblieben, weil es an der Aufnahmebereitschaft einiger EU-Mitgliedstaaten mangelt. Auch von Deutschland hätten mehr Geflüchtete übernommen werden sollen. Hierzu besteht dringender Handlungsbedarf.


2. Wiedereinführung des Privat Sponsorship

Über das Privat Sponsorship könnten Familienangehörige von Geflüchteten oder Flüchtlinge aus Drittstaaten aufgenommen werden, wenn sich solvente Bürger oder Ausländer mit Niederlassungserlaubnis, Unternehmen oder Verbände dazu bereit erklären würden, die mit der Aufnahme, Unterbringung, Versorgung und Integration entstehenden Kosten zu tragen und die öffentliche Hand nicht belastet wird. Dieses Aufnahmeverfahren ist nicht in allen EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen geeignet. In Deutschland hat es bei der Aufnahme irakischer Familienangehöriger seinerzeit entsprechende Länderanordnungen gegeben. Die Regelungen konnten aber unterlaufen werden, weil die Kostenübernahmeverpflichtungen nur zeitlich befristet galten und darüber hinaus vorzeitig endeten, sobald ein Asylantrag gestellt wurde, weil dann ein Anspruch auf öffentliche Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz entstand. Bevor es zu solchen Aufnahmen in nennenswerter Zahl kommen könnte, müssten deshalb in einigen EU-Mitgliedstaaten wohl vorher diese offenen Rechtsfragen geklärt werden.


3. Wiederherstellung regulärer Einreisemöglichkeiten für die Beschäftigung in bestimmten Sektoren

Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat Deutschland die Möglichkeiten der Einwanderung zum Zwecke einer Beschäftigung deutlich verbessert. Es können nicht mehr nur hochqualifizierte akademisch ausgebildete Fachkräfte eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, sondern auch Fachkräfte in Berufen und Sektoren für die ein besonderer Bedarf besteht.


4. Weiterentwicklung des Dublin-Verfahrens und Lösung der Sekundärbewegungen

Das Dublin-Verfahren hat sich in der Tat nicht gut bewährt, weil es keinen Ausgleich für die Überbelastung von Staaten an den Außengrenzen enthält und es innerhalb der EU keine ausreichende Solidarität für die Verteilung von Asylsuchenden gibt. Es gibt auch eine enorme Binnenwanderung von Geflüchteten in bestimmte Staaten, wie Schweden oder Deutschland, weil die Sozialsysteme für Geflüchtete dort besser ausgestaltet sind und auch die Perspektiven des Arbeitsmarktes aussichtsreicher erscheinen. Eine gleichmäßige Verteilung auf alle Mitgliedstaaten wird es deshalb bei weiterhin offenen Grenzen wohl nicht geben können, so dass die EU im Interesse der Geflüchteten nicht auf eine quotenmäßige Verteilung setzen sollte, sondern andere Ausgleichmaßnahmen bei der Aufnahme von Geflüchteten entwickeln muss.


Interessant bleibt es zudem aufgrund der Tatsache, dass das Thema unter anderen im neuen Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung ebenfalls eine Rolle spielt. Hier blickt die Landesbeauftragte mit Hoffnung und Zuversicht auf den Kurs der neuen Bundesregierung.


Mit freundlichen Grüßen

i. A. Melanie Isabel Kröger

Niedersächsische Staatskanzlei

Referentin im Verbindungsbüro zur Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe

Postanschrift: Planckstraße 2, 30169 Hannover, Dienstgebäude: Haarstr. 5, 30169 Hannover

Tel.: (0511) 120-6793, Mail: melanie.kroeger@stk.niedersachsen.de


Antwort auf das Konzept der „humanitären Korridore"

Melanie Isabel Kröger, Referentin im Verbindungsbüro zur niedersächsischen Landesbeauftragten für Migration und Teilhabe, Doris Schröder-Köpf, schickte Convivio mundi folgende Antwort:

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