„Ich wurde Clown um zu leben"

Interview mit Julia Hartmann

„Ich wurde Clown um zu leben“ ist ein berührendes und mutiges Buch. Die Autorin Julia Hartmann schildert den verzweifelten Kampf ihrer Familie um das Leben ihrer kleinen Tochter Nicole, die mit vier Jahren an Knochenkrebs erkrankt. In dieser schwierigsten Zeit ihres Lebens entscheidet sie sich, ihrem Kindheitstraum zu folgen und Clown zu werden. „Als Clown kann ich die Patienten nicht heilen. Doch darum geht es mir als Clown auch nicht. Mir geht es um die Seelen der vielen kleinen und großen Patienten und deren Angehörigen. Ein wenig Freude in den Klinikalltag von außen zu bringen, bedeutet für alle Patienten am Leben wieder aktiv teilzuhaben.“, erklärt sie Renate Müller De Paoli im Gespräch.

Julia Hartmann auf dem Foto

Julia Hartmann

Frau Hartmann, schon in Ihrer Kindheit lugte ein Clownsgesicht, wie Sie schreiben, immer wieder durch die Kinderzimmertür. Wie war Ihre erste Begegnung mit einem Clown? Was war das für eine Situation?

Meine erste Begegnung mit einem Clown war im Zirkus, den ich zusammen mit meinen Eltern besucht habe. Dieser Clown (ein Mann) war hinter seiner Maske ein lustiger und zugleich trauriger Mensch. Auch wenn er vieles in der Manege kaputt machte, bekam er donnernden Applaus. Damals war ich sechs Jahre alt und wenn ich etwas kaputt machte, gab es keinen Applaus. Als Julia ging ich regelmäßig leer aus.

Seitdem ich Ihr Buch gelesen habe, frage ich mich umso mehr, welche Fähigkeiten muss ein Clown oder Clownin besitzen, um mit einer solchen Leichtigkeit Jung und Alt zum Lachen zu bringen und für Momente Kummer und Sorgen vergessen zu lassen? Was kennzeichnet den „geborenen Clown“?

Ein „geborener Clown“ sollte die Fähigkeit besitzen, die Menschen (sein Publikum) ernst zu nehmen, egal ob jung oder alt. Er kann sich auf das Publikum und auf das Leben einlassen mit all seinen absurden Inhalten, denn er lernt vieles zu relativieren und das Leben so anzunehmen, wie es ist. Aus seinen eigenen Fähigkeiten, die der Clown als seine Talente in diese Welt mitgebracht hat, versucht er immer etwas Positives entstehen zu lassen.

Sie selbst entscheiden sich, Ihrem Kindheitstraum zu folgen und Clown zu werden, nachdem Ihr Leben völlig aus den Fugen gerät, als Ihre vierjährige Tochter Nicole an einem aggressiven Knochenkrebs erkrankt. Sie haben unzählige Chemotherapien, Krankenhausaufenthalte, Operationen und schließlich eine Beinamputation an der Seite Ihrer kleinen Tochter durchgestanden. Ist es das Leid, dass Sie in dieser Zeit in den Krankenzimmern erlebt haben, dass in Ihnen diesen Entschluss hat reifen lassen?

Am Ende meiner eigenen Kräfte sah ich keinen Ausweg mehr, diesem unendlichen Leid zu entfliehen. Ich musste selber etwas tun, um diesem Leid die Stirn zu bieten. Und dann tauchte vor meinem inneren Auge plötzlich der Clown meiner Kindheitstage auf und ließ mich nicht mehr los. In den Krankenzimmern damals wie heute ist die Not oftmals übermächtig. Als Gegenpol wollte ich einfach etwas mehr Unbeschwertheit und Freude hinein zaubern.

Buchcover Ich wurde Clown um zu leben

(Copyright: Gütersloher Verlagshaus)

Kleine Patienten und ihre Eltern sind oft besonders schutzlos der „Kälte“ des Klinikbetriebes ausgesetzt. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Kleine und große Patienten und deren Angehörige befinden sich immer in einer Ausnahmesituation. Als Clown kann ich die Patienten nicht heilen. Doch darum geht es mir als Clown auch nicht. Mir geht es um die Seelen der vielen kleinen und großen Patienten und deren Angehörigen. Ein wenig Freude in den Klinikalltag von außen zu bringen, bedeutet für alle Patienten am Leben wieder aktiv teilzuhaben.
Durch meine mittlerweile 15-jährige Erfahrung weiß ich, wie wichtig meine Zuwendung als Clown und als Mensch für die Patienten ist. Nach so langer Zeit gehöre ich gefühlt zum Personal. Alle Menschen, egal ob Patient, Angehöriger oder Mitarbeiter lassen mich an ihrem Leben ein Stück weit teilhaben. Das Vertrauen, das mir und uns als Familie dadurch entgegengebracht wird, macht mir und uns Mut weiterzumachen.

„Leben ist immer Risiko“ mit diesem Satz überzeugte Sie, wie Sie schreiben, eine Stationsärztin, Ihre jüngere Tochter Nadine nicht schon wieder von Ihrer Schwester zu trennen, obwohl die risikoreiche Beinamputation bei Nicole anstand. In wie weit hat dieser Satz Ihre Entscheidung, Ihrer Berufung zu folgen, beeinflusst?

„Leben ist immer ein Risiko“ ist zwischenzeitlich ein Lebensmotto für mich geworden. Egal, welche Entscheidungen ich in meinem Leben auch treffe, wird ein gewisses Restrisiko immer bestehen bleiben.
Manchmal kann es sogar besser sein, eine falsche Entscheidung zu treffen als gar keine. Absolute Sicherheit wird es nun mal nie wirklich geben.
Dies anzunehmen und gleichzeitig Verantwortung für sein eigenes Leben sowie für das Leben seiner nächsten liebsten Mitmenschen zu übernehmen, sehe ich als Aufgabe eines jeden Menschen.

Familie Hartmann 2011 auf dem Foto

Familie Hartmann 2011 (Foto: Privat)

Nach allem was Sie an Schicksalsschlägen durchstehen mussten, haben Sie sich bewusst entschieden, „Klinikclown“ zu werden. Warum haben Sie gerade diese Herausforderung gewählt?

In der Rolle als Clown habe ich mich letztendlich gesucht und immer wieder neu gefunden. Und ich durfte erleben, dass meine Töchter und mein Mann sich mir angeschlossen haben und mir bis heute tatkräftig zur Seite stehen. Perfekt wird unser Familienunternehmen nie sein, doch es ist lebendig und das ist gut!

Ihre beiden Töchter, Nicole und Nadine haben Ihre Entscheidung nicht nur begeistert unterstützt, sondern beide sind gemeinsam mit Ihnen als Clown aufgetreten, bis Nicole mit 23 Jahren erneut erkrankt und letztendlich den Kampf gegen den Krebs verliert. Ist dies der Weg, Ihr Weg, um mit dem Schicksal fertig zu werden, sozusagen der „Strohhalm“ oder vielleicht die „Schwimmweste für das Leben“?

Leben ist immer ein Risiko … würde ich auch hier sagen. Ob es nun „der Weg“ ist, mit dem Schicksal fertig zu werden, weiß ich nicht, doch ich weiß, dass es „unser Weg“ ist. Ob es der „richtige Weg“ für mich und meine Familie ist, kann ich getrost mit JA beantworten.
Trauer und Freude gehören nun mal unzertrennlich zum Leben dazu und wir haben gemeinsam beschlossen, diesen Weg weiterzugehen. Denn der Beruf als Clown ist schon lange meine Berufung und umgekehrt und das fühlt sich in meinem und unserem Leben sehr gut an.

Clown Julchen und Zaubermaus Biene in Heidelberg

Vita: Julia Hartmann

Julia Hartmann, geb. 1962 in Baden-Württemberg, Ausbildung zur Beamtin, seit vielen Jahren freiberuflicher Clown in Kliniken, Seniorenheimen und auf Veranstaltungen jeglicher Art; Dozentin „Humor in der Pflege“ in psychiatrischen Zentren, an der Universität Heidelberg und auf Tagungen und Kongressen.
Julia Hartmann lebt mit ihrer Familie im Landkreis Karlsruhe.

www.clown-julchen.de

Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Dienstag, 29. Dezember 2015

„Ich wurde Clown um zu leben“

Interview mit Julia Hartmann


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