Thuraisingham Camillus im Gespräch
Friedlich und vereint pilgern jedes Jahr Tausende von Flüchtlingen in Deutschland nach Kevelaer, vielfach unbeachtet von der großen Öffentlichkeit. Dabei leben die meisten wie Thuraisingham Camillus nun schon über 30 Jahre in Deutschland. Es sind Tamilen, Hindus und Katholiken,die dem 1983 aufflammenden Bürgerkrieg in ihrem Heimatland Sri Lanka versuchten, zu entkommen. Über 100.000 Menschenleben kostete dieser über 30-Jahre dauernde Krieg, der bis heute für einen dauerhaften Frieden Aufarbeitung und Versöhnung zwischen der tamilischen Minderheit und singhalesischen Mehrheit einfordert. Thuraisingham Camillus, Initiator dieser Kevelaerer Wallfahrt, berichtet im Gespräch mit Renate Müller De Paoli über seine Erfahrungen in Deutschland.
Welche Erinnerungen haben Sie, Herr Camillus an Ihre letzten Monate und Wochen in Sri Lanka, bevor Sie sich entschlossen haben, Ihre Heimat zu verlassen und alles zurückzulassen?
Im Jahr 1984 begann eine Welle an Verhaftungen und zu dieser Zeit wurden bereits viele Jugendliche auch unter Protest einbezogen und misshandelt. Um diesem zu entgehen, flüchtete ich innerhalb des Landes an verschiedene Orte. Da meine Eltern große Sorge um mich hatten, blieb nur der Ausweg in das sichere Ausland zu flüchten, um dort für einige Jahre in Sicherheit zu leben. Meine Erinnerungen beinhalten Szenen vieler vermissten und verstorbenen Freunde aus meiner Heimatstadt, die niemals gegen die Regierung oder die Armee vorgegangen sind.
Das „Ankommen“ in Deutschland, wie war das damals für Sie?
Als wir geflohen sind, hatten wir kein genaues Ziel und wussten damals, wo genau wir unterkommen würden. Wir sind damals über die DDR nach West-Berlin und von dort aus in das Ruhrgebiet nach Oberhausen in ein Wohnheim. Uns erwartete eine fremde Sprache, fremde Menschen und eine fremde Kultur. Die Stadt Oberhausen, der Caritas Verband und das Diakonische Werk haben uns in dieser Zeit betreut und unterstützt. Wir durften in dieser Zeit die Stadtgrenzen nicht verlassen und hatten ein 5-jähriges Arbeitsverbot. Leider gab es auch keine Ausbildungsmöglichkeiten und somit auch keine direkte Integration. Da wir uns aber gerne integrieren wollten, besuchten wir z.B. in der Volkshochschule einen Deutschkurs, um kommunizieren zu können.
Ca. 60 000 Tamilen leben in Deutschland, wie sind sie organisiert?
Mitte 1980 sind über 100.000 Tamilen nach Deutschland gekommen und haben Asyl gesucht. Nach und nach sind viele in andere europäische Länder und besonders nach Kanada ausgewandert. Mittlerweile leben ca. 60.000 Tamilen in Deutschland. In einigen Städten gibt es Vereine, Schulen, Tempel usw. Etwa 90 % der Tamilen sind Hindus und etwa 10 % Christen. Die beiden Religionsgemeinschaften werden von ihren eigenen Gemeinden betreut. In Deutschland gibt es mehrere eigens gebaute Hindutempel. Der größte steht in Hamm und hat eine besonders große Gemeinde. Für die katholischen Tamilen gibt es seit 1987 eine durch die Deutsche Bischofkonferenz organisierte tamilische Gemeinde mit einem Priester aus Sri Lanka, der wohnhaft in Essen ist.
Die Tamilen gehören unterschiedlichen Religionen an, wie funktioniert da das Zusammenleben?
In Sri Lanka haben wir auch als Nachbarn zusammen gelebt. Wir sind ein Volk. Wir haben die unterschiedlichen Religionen immer respektiert und einige haben auch untereinander geheiratet. Dadurch sind ganz selten Probleme entstanden.
Sie haben schon 1987 die erste Wallfahrt zum Marienwallfahrtsort Kevelaer organisiert, heute die größte Einzelwallfahrt für die Tamilen. Was hat Sie damals dazu bewogen?
Im Jahr 1986 wurden wir von einer deutschen Gemeinde in Oberhausen zu einer Wallfahrt eingeladen und sind nach Kevelaer gekommen. Das Kevelaerer Wallfahrtsbild erinnerte mich verblüffend an Madhu, unsere große Wallfahrt auf der Insel, südlich von Indien. Dort kam mir der Gedanke, dass ich in diesem besonderen Ort gerne einen tamilischen Gottesdienst feiern würde und einen tamilischen Priester hierfür einlade. Dieser Gedanke war der Ursprung der mittlerweile großen Tamilenwallfahrt in Kevelaer. Am 13.08.2016 haben wir unsere 29. Wallfahrt gefeiert mit ca. 10.000 Tamilen. Dafür haben uns viele Freunde, Priester, Bistümer,Organisationen und Behörden unterstützt.
Nehmen auch Hindus an dieser Wallfahrt teil?
Es nehmen viele Hindus an der Wallfahrt teil. Eine Vielzahl der Hindus kommen nicht zum Gottesdienst, sondern um das Gnadenbild der Muttergottes zu ehren. Danach treffen sich Freunde, Bekannte, Verwandte. Die kommen nicht nur aus Deutschland sondern auch aus den europäischen Nachbarländern.
Wie begehen die tamilischen Hindus ihre religiösen Feste? Nehmen Sie daran teil?
Es gibt in vielen Orten in Deutschland Hindutempel und gut organisierte Gemeinden. Ihre religiösen Feste feiern sie in den jeweiligen Tempeln.
Der größte Tempel ist in der Stadt Hamm in NRW. Zu den großen Festen gehe ichauch, um Solidarität zu zeigen.
In Europa und Deutschland bestimmt die Frage der Integration von Flüchtlingen die Diskussion. Welchen Rat würden Sie aus Ihrer Erfahrung geben, um Fehler von damals zu vermeiden?
Wenn ich 32 Jahren zurückdenke, wurde damals das Wort „Integration“ sehr klein geschrieben. Wir haben uns in vielen Situationen in Deutschland allein gelassen gefühlt und selbst Hilfe gesucht. Integration von Flüchtlingen heißt nicht viel zu diskutieren, sondern tätig zu werden. Flüchtlinge sollen zu Beginn die Landessprache lernen, um sich in die Gesellschaft zu integrieren. Ihnen sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihren erlernten Beruf weiter auszuüben oder sich ausbilden zu lassen. Es ist vielen wichtig, sich zumindest selbst versorgen zu können und nicht abhängig zu sein.
Herr Camillus wir danken Ihnen.
Vita: Thuraisingham Camillus:
Thuraisingham Camillus, geb. 1961 in Kayts in Sri Lanka, lebt seit 1984 in Deutschland und hat die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach seiner Ausbildung zum Krankenpflegehelfer arbeitete er von 1994 bis 2007 als examinierter Krankenpflegehelfer im St. Josef Hospital/Oberhausen und auch als Pfarrhelfer der tamilischen Gemeinde. Seit 2007 ist er als Empfangskraft des Generalvikariats im Bistum Essen tätig. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.