Folker Hellmeyer im Interview
Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank, kommt in der Diskussion um den Euro und die sogenannte „Eurokrise“ zu brisanten, fundamentalen Einschätzungen bezüglich Ursachen und Folgen der Krise.
Im Gespräch mit Renate Müller De Paoli warnt er u. a.: „Eine fortgesetzte und unter Umständen verschärfte Unterordnung der westlichen Gesellschaften und der Realwirtschaft unter die globale Bankenaristokratie ist das Risiko für die Nachhaltigkeit der realwirtschaftlichen Entwicklung und der Stabilität der freien Gesellschaften!“
Herr Hellmeyer, zur Rettung des Euro jagt ein Gipfel den nächsten. Und mit jedem Gipfel steigt die Verunsicherung der Bürger. In Deutschland setzt sich durch die sogenannte Euro-Krise mehr und mehr das Bild fest, die Deutschen seien nur die „Deppen und Opfer“ der Europäischen Union. Sie sagen das Gegenteil: Deutschland profitiere auf vielen Ebenen von dem Euro. Wieso?
Es ist mehr als ärgerlich, dass diese Verunsicherung provoziert wurde. Der Eindruck, dass wir alles zahlen, wurde durch eine Reihe meiner Kollegen und durch maßgebliche Medien geschürt. Dabei wurden wesentliche Fakten vollständig ausgeblendet, so dass diese asymmetrische Wahrnehmung erst greifen konnte. Fakt ist, dass wir bisher gar nichts bezahlt haben. Fakt ist, dass die Spekulation gegen die europäischen Reformländer zu einem unnatürlich niedrigen Kapitalmarktzins für Deutschland führte. So konnte Deutschland vor wenigen Tagen am Kapitalmarkt zweijährige Titel für 0,46% Mittel unterbringen oder sich zutiefst für 10 Jahre mit 1,60% refinanzieren, obwohl die Teuerungsrate in der Eurozone bei 3% liegt. Dieses absurd niedrige Zinsniveau ist eine Subvention, die wir den europäischen Reformländern zu verdanken haben. Seit Anfang 2010 profitiert Deutschland von diesem Umstand. Der bereits eingenommene Vorteil des deutschen Steuerzahlers liegt jenseits der 30 Mrd. Euro Marke. Darüber hinaus hat das niedrigere Zinsniveau das deutsche Wachstum beflügelt. In der Folge sanken Sozialabgaben und legten Steuereinnahmen stärker zu. Ergo sind wir bisher der größte Begünstigte der Defizitkrise. Aber ebenso entscheidend ist, dass die Eurozone elementar wichtig für unser exportseitiges Geschäftsmodell ist. Insgesamt gehen circa 70% der Exporte des deutschen Mittelstands in die Eurozone. Der Mittelstand ist bezüglich Steueraufkommen, Ausbildung und Beschäftigung das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Wer mit der Integrität der Eurozone spielt, spielt mit unserem Geschäftsmodell.
Was passiert, wenn ein Schuldnerland die Kredite nicht zurückzahlen kann? Welche Folgen hätte das für Europa insgesamt, wobei ich nicht die Bankenwelt im Blick habe?
Zunächst schließe ich für die erfolgreichen Reformländer Irland, Portugal und Spanien ein solches Szenario unter den aktuell gegebenen Umständen aus. Das Problem stellt Griechenland dar. Wir können uns eine ungeordnete Insolvenz nicht leisten, da dann nach den Erfahrungen der letzten 20 Monate das spekulative Momentum aus London und New York gegen die weiteren Reformländer losgelöst von Fakten und Erfolgen um sich greifen würde. Diese Angriffe hatten und haben durchaus einen beißenden politischen Beigeschmack. In einer derartigen Konstellation könnten dann sogar Länder wie Italien oder Frankreich unter Druck kommen. Der daraus resultierende Anpassungsbedarf in der Bewertung der Anleiheportfolios der Banken würde eine größere Bankenkrise als die Lehmanpleite auslösen und die Weltwirtschaft mindestens in eine schwere Rezession, wenn nicht sogar in eine Depression stürzen. Deutschland wäre mit seinem exportseitigen Geschäftsmodell der größte Verlierer einer solchen Konstellation. Das hohe Pferd, auf dem die deutsche Politik, viele deutsche Medien und einige TV-Ökonomen sitzen, kann dann sehr schnell bocken ….
Würgen die drakonischen Spar- und Reformauflagen, an die die Kreditvergabe gekoppelt ist, die IWF und Europäische Union kontrollieren, nicht die volkswirtschaftliche und soziale Zukunft eines Landes, das eigentlich wirtschaftliche Aufbauhilfe, Infrastruktur etc. braucht, völlig ab, wenn das die alleinigen Maßnahmen sind?
Ja, dieses Risiko ist im Krisenmanagement vernachlässigt worden. Es entstand der Eindruck, es ginge maßgeblich um die Bestrafung Griechenlands. Dieser Ansatz wirkte sich verschärfend auf die Gesamtkrise aus. Auch die „öffentliche Hinrichtung“ Griechenlands am Finanzmarkt mit der Kontrolle via IWF, EU und EZB alle drei Monate war nicht Ziel führend. In der Folge wurde Griechenland als Investitionsstandort verbrannt. Der Rückgang der Bruttoanlageinvestitionen um 44% und der Wirtschaftsleistung um 9% in den Jahren 2010/11 war die Konsequenz. Dennoch konnte die Neuverschuldung von mehr als 15% auf unter 9% des BIP gesenkt werden, was Ausdruck des Erfolgs der Strukturreformen ist. Fakt ist, dass die Investitionsbedingungen in Griechenland seit Ende der Diktatur nie besser waren als heute. Dank der asymmetrischen Wahrnehmung werden diese Fakten jedoch ignoriert! Der von Ihnen kritisch hinterfragte Ansatz kann nicht als vorausschauend und intelligent klassifiziert werden. Gerade wir Deutschen haben uns dabei sowohl politisch, aber auch medial hervorgetan. Natürlich sind in Griechenland drakonische Maßnahmen erforderlich. Sie sind jedoch mit Aufbauhilfe zu verbinden. Dieser Politikansatz wird mittlerweile auch verfolgt. Ergo sind wir derzeit auf dem Weg der Schadensbegrenzung.
Läuft hier nicht etwas fundamental falsch? Statt über Euro-Krise und Schuldenkrise zu sprechen, stehen wir nicht eigentlich vor einer Systemkrise bedingt durch die Übermacht des Finanzsektors?
Sie laufen bei mir offene Türen ein. Seit dem Fall des Kommunismus 1990 zeigt der Kapitalismus sein wenig attraktives Gesicht. Der Finanzsektor hat sich mit globalen Spielern aufgestellt, die nicht mehr in der erforderlichen Form ihre volkswirtschaftlichen Funktionen leben. Die Deregulierung hat sie zu Maklern, Hedge Funds, Investmentbanken und Versicherungen mutieren lassen, die das nicht eigenkapitalunterlegte Geschäft maßgeblich forcieren und damit Geschäft betreiben, das keine Vollkaskohaftung der öffentlichen Gemeinschaft verdient. Es sind häufig Finanzinstitutionen, die nur noch vorgeben, eine Bank zu sein. Nehmen Sie unser Haus Bremer Landesbank oder Sparkassen und Volksbanken. Unsere Bilanzsumme ist zu mehr als 60% durch direktes Kundengeschäft definiert. Wir leben volkswirtschaftliche Funktionen in vollstem Unfang. Bei der globalen Bankenaristokratie sind es gerade mal 10% - 20%.
Wenn die Macht der „Großbanken“ reduziert wird, könnte das nicht auch negative Auswirkungen auf den Kreditfluss für die Realwirtschaft und das Sozialgefüge eines Landes haben?
Das sehe ich nicht ansatzweise so. Ein Trennbankensystem und/oder eine Zerschlagung der global agierenden Bankenaristokratie würde beispielsweise im Gegenteil die Zuverlässigkeit der Kreditversorgung erhöhen. Großkredite können wie früher über syndizierte Strukturen vergeben werden. Dabei griffe dann auch der Portfolioansatz, was systemische Risiken minimieren würde. Eine fortgesetzte und unter Umständen verschärfte Unterordnung der westlichen Gesellschaften und der Realwirtschaft unter die globale Bankenaristokratie ist das Risiko für die Nachhaltigkeit der realwirtschaftlichen Entwicklung und der Stabilität der freien Gesellschaften!
Was verstehen Sie unter dem Begriff „Bankenaristokratie“?
Damit meine ich die global aufgestellten Banken, unter anderem HSBC, Barclays, JP Morgan, Goldman Sachs oder Deutsche Bank, die sich in der Beliebigkeit der Globalisierung tummeln und sich bemühen durch Aufsichts-, Steuer- und Politarbitrage Vorteile zu verschaffen, ohne die notwendige Loyalität zu der Nation, die die Vollkaskohaftung bietet, zu leben. Es sind diejenigen, die in den USA den Frank-Dodd Regulierungsakt über Lobbyarbeit zu einem weitestgehend zahnlosen Tiger haben mutieren lassen. Es sind diejenigen, die Teilhaber der New York Federal Reserve und der Ratingagenturen sind. Es sind diejenigen, die im International Accounting Standard Board verantwortlich für die Hinwendung zur kurzfristigen Bilanzierung sind. Wirtschaft ist Marathon und nicht Sprint. Diese Ausrichtung auf Kurzfristigkeit ist eine Ursache der globalen Finanzkrise seit 2007!
Was ist nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Ihrer Meinung nach falsch gelaufen? Wie ist es möglich, dass eine Bankenaristokratie, von der Sie sprechen, die Politik vor sich hertreiben kann?
Es gab eine unheilige Allianz insbesondere in den Finanzzentren London und NY zwischen Finanzsektor, Politik, Zentralbank und Aufsicht. Kontrolleure wurden zu Partnern. Diese sukzessive bis 2007 um sich greifende Korrumpiertheit des Systems ist der eigentliche Fehler. Darüber hinaus gab es ein hohes Maß an Naivität in der europäischen Politik, die leider willfährig den Vorgaben aus NY und London bei guter Lobbyarbeit des privaten Bankenverbands in Kontinentaleuropa Folge leistete und partiell fachlich überfordert war.
Welche Schritte müssten aus Ihrer Sicht unternommen werden, um den Konsequenzen dieser Systemkrise Einhalt zu gebieten?
Es sind drei Felder: Erstens muss die Bankenlandschaft so strukturiert werden, dass die Wahrnehmung der volkswirtschaftlichen Funktionen der Banken gewährleistet ist. Das erfordert die Zerlegung der global agierenden Großbanken. Zweitens sind die Bilanzierungsstandards von Kurzfristigkeit auf Langfristigkeit umzupolen. Drittens sind die deregulierten Märkte, insbesondere die Kreditausfallversicherungen, in eine Regulierung einzubeziehen, die nicht den spekulativen Kräften einen Tummelplatz bietet, sondern realwirtschaftlichen Absicherungsnotwendigkeiten Raum gibt.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ steht in der Präambel des Grundgesetzes! Dieser Grundsatz ist nicht nur in Deutschland gefährdet. Welchen Schnitt brauchen wir, um diesem Grundsatz gerecht zu werden?
Das ist eine sehr umfassende Frage. Bezüglich des Finanzmarkts bedeutet es, dass wir zurück zu den Wurzeln gehen. Die Finanzwirtschaft wurde entwickelt, um der Realwirtschaft zu dienen, um sie zu optimieren. Dieser Zustand mit den entsprechenden gesellschaftspolitischen Wertigkeiten ist wiederherzustellen. Dazu bedarf es der Umsetzung der zuvor genannten drei Punkte. Es griffe jedoch zu kurz bei diesem Thema nur den Finanzsektor und die aktuellen Verwerfungen im Blick zu haben. Wir brauchen mehr Bildung. Humanismus und Bildung sind miteinander korreliert. Hier muss es zu einer massiven Offensive seitens der Politik aber auch aus der Gesellschaft heraus kommen.
Herr Hellmeyer, wir danken Ihnen.
Vita von Folker Hellmeyer
Folker Hellmeyer (Chefanalyst der Bremer Landesbank)
war nach dem Abschluss seiner Banklehre und der Bankakademie von 1984 bis 1987 als Assistenz- und Kundenhändler im Devisenhandel der Deutsche Bank AG in Hamburg tätig.
1988 entsandte ihn die Bank als Kassahändler für ein Jahr nach London. 1989 kehrte er zurück nach Hamburg und initiierte den Aufbau eines JPY-Handelstisches.
Im Februar 1990 wechselte Folker Hellmeyer als Freiverkehrsmakler im Interbankendevisenmarkt zur Bierbaum & Co. GmbH & Co. OHG.
Von 1995 bis 2002 war er zunächst als Senior Dealer und ab 1997/98 als Chefanalyst und Verantwortlicher des Zentralbanktisches bei der Landesbank Hessen-Thüringen GZ tätig. Im Jahre 1998 schloss Folker Hellmeyer erfolgreich das ACI-Diplom ab.
Seit April 2002 ist Folker Hellmeyer (50) Chefanalyst der Bremer Landesbank. Als Kommentator des Geschehens an den internationalen Finanzmärkten ist er u. a. regelmäßig in der ARD, ZDF, auf n-tv, N24, DAF, der Deutschen Welle, Phoenix, CNBC Europe den dritten Programmen zu sehen.