Leibniz und Russland
Im Rahmen einer von der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Gesellschaft ausgerichteten dreiteiligen Vortragsveranstaltung zum Thema Leibniz und Russland machte Prof. Dr. Wenchao Li (Leibniz-Stiftungsprofessur der Universität Hannover) am Freitag, den 24. Juni 2011 im Historischen Museum am Hohen Ufer den Beginn mit einem Vortrag über Leibniz als politischen Berater Russlands.
„Durch eine einzigartige Entscheidung des Schicksals, wie ich glaube, ist es dazu gekommen, daß die höchste Kultur und die höchste technische Zivilisation der Menschheit heute gleichsam gesammelt sind an zwei äußersten Enden unseres Kontinents, in Europa und in Tschina (so nämlich spricht man es aus), das gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde ziert. Vielleicht verfolgt die Höchste Vorsehung dabei das Ziel – während die zivilisiertesten (und gleichzeitig am weitesten voneinander entfernten) Völker sich die Arme entgegenstrecken –, alles, was sich dazwischen befindet, allmählich zu einem vernunftgemäßeren Leben zu führen.“
Das, „was sich dazwischen befindet“, ist natürlich Russland, und in diesen ersten Zeilen der Novissima Sinica (Das Neuste über China) von 1697 deutet sich an, welche bedeutende Rolle Russland in Leibniz' Augen spielte: einerseits als Brücke zwischen Europa und China, andererseits als ein zwischen diesen beiden eingeschlossenes Gebiet, das es zu zivilisieren' galt.
Li begann seinen interessanten und bereichernden Vortrag mit einer Analogie: Das in dieser Hinsicht bedeutende Jahr 1697 könne man gleichsam als Monade betrachten, als eine Einheit, von der ausgehend sich Vergangenes und Zukünftiges (historisch und biographisch) entfalten lassen.
Er beschrieb die Europareise Zar Peters des Großen und Leibniz' Bemühungen, dem Zar zu begegnen. Tatsächlich kommt es insgesamt zweimal zu einem solchen Zusammentreffen „der Weisheit mit der Macht“, wie Li mit einem Augenzwinkern bemerkt.
Leibniz erkannte (als einer der wenigen seiner Zeit) die Bedeutung, die die Verbindung mit Russland haben konnte. Er erhoffte sich aus dem Kontakt mit dem Zaren unter anderem, den Landweg nach China zu sichern. Aus einer Denkschrift zur Förderung der Wissenschaften und Künste in Russland gehen Leibniz' Vorstellungen hervor, die auch im Kontakt mit Peter dem Großen zur Sprache gekommen sein mögen.
Insgesamt, fasst Li zusammen, ging es Leibniz um die Verbindung sowohl nach Russland als auch nach China, vor allem um einen Wissensaustausch. Die Chance für Russland sah er in der Förderung von Wissenschaft, Kunst und Kultur nach europäischem und chinesischem Vorbild:
„Und es geschieht nicht durch Zufall, glaube ich, daß die Russen, die durch ihr riesiges Reich China mit Europa verbinden und den äußersten Norden des unzivilisierten Gebiets entlang den Küsten des Eismeeres beherrschen, unter dem tatkräftigen Bemühen des jetzt regierenden Herrschers selbst wie auch durch den ihn mit Ratschlägen unterstützenden Patriarchen, wie ich gehört habe, dazu angehalten werden, unseren Errungenschaften nachzueifern.“ (Novissima Sinica)