Jahresgruß 2023

„Spinne deinen Faden und finde deinen Herzschlag"


In dem Künstler-Bilderbuch Schau nach oben Aya und du kannst die Sterne greifen des Künstlerehepaares Jeppe und Silke Hein rät ein alter, erfahrener Käfer der kleinen Schmetterlingsraupe Aya auf ihrer Wandlung zu einem wunderschönen blauen Schmetterling: „Geh ruhig in deinem eigenen Tempo. Krabble, wenn Dir nach Krabbeln zumute ist, und ruh dich aus, wenn du müde bist. Du kommst ganz sicher ans Ziel. … Spinne deinen Faden und finde deinen Herzschlag.“

Buchcover: Schau nach oben Aya und du kannst die Sterne greifen

Buchcover (Quelle: Hatje Cantz Verlag)


Deepnarayan Nayak, Lehrer in einem kleinen indischen Dorf, spann wunderbarerweise seinen Faden während der weltweiten Corona-Pandemie und fand seinen Herzschlag. Denn für Millionen Mädchen und Jungen bedeutete Corona, dass sie oft monatelang keine Schule besuchen konnten, aber auch, dass Kinder in vielen Ländern die einzige Mahlzeit am Tag nicht mehr bekamen. Lehrer Nayak verlegte kurzerhand die Schule in seinem Dorf ins Freie. Er verwandelte die Wände der Häuser in Schultafeln, malte die Vorsichtsmaßnahmen gegen eine Infektion auf die Wände, lehrte die Kinder im Umgang mit Masken und unterrichtete sie mit Sicherheitsabständen im Freien. Der indische Fotograf Sourav Das, der sich als „street photographer“ versteht und den sozialen Wandel in seiner Gesellschaft dokumentiert, hat Szenen aus dem Alltag dieser ungewöhnlichen Dorfschule mit seiner Kamera in der Reportage „A Small yet Great Victory Over the Pandemic – Ein kleiner, großer Sieg über die Pandemie“ eingefangen. Im Rahmen des internationalen Fotowettbewerbs Global Peace Photo Award wurde ein Bild über Nayaks Initiative zum „Friedensbild des Jahres 2022“ gewählt.

Friedensbild des Jahres 2022


Ebenso wurde die venezolanische Fotografin Ana Maria Arévalo Gosen mit einem Bild aus ihrem Projekt „Sinfonía desordenada – Eine wilde Sinfonie“ ausgezeichnet. Einfühlsam zeigt Gosen, wie es trotz der Pandemie dem venezolanischen Orchester Sinfónica Gran Mariscal de AYacucho gelang, einen gemeinsamen Weg zum Musizieren zu finden. Sie erzählt mit ihren Bildern, wie die Kraft der Musik selbst in schweren Zeiten Gemeinschaft ermöglicht und junge Menschen durch die Integration in ein Jugend-Orchester, eine Initiative der Sinfónica, vor dem Drogen- und Kriminellen-Milieu retten kann. Es ist „ein Geschenk an die Hoffnung“, so Gosen.

Eine wilde Sinfonie


Auch der russische Komponist Peter Tschaikowsky spann seinen Faden und fand in der Musik seinen Herzschlag. 1878 begann er an der Oper Eugen Onegin, geschrieben nach dem gleichnamigen Versroman Eugen Onegin von Alexander Puschkin, zu arbeiten. 1879 fand in Moskau die Uraufführung statt. Im letzten Akt begegnet Eugen Onegin, der in einem Duell seinen besten Freund erschossen hat und sich durch Jahre des Herumreisens von seiner Schuld zu befreien suchte, dem Fürsten Gremin auf einem Ball der „feinen“ Petersburger Gesellschaft. Gremin erzählt ihm voller Glück, wie Tatjana, seit zwei Jahren seine Frau, ihn durch ihr liebevolles Wesen aus der Oberflächlichkeit der Gesellschaft, dem „Verrat und Lug“ gerettet hat. Schonungslos brandmarkt Tschaikowsky in dieser bewegenden, großartigen Arie des Fürsten Gremin die lächerlichen Schwätzer in ihrer plumpen Heuchelei und Eitelkeit „in einer Welt voll Hohn und Trug“.

Arie des GREMIN - mit edler Würde

Ein jeder kennt die Lieb' auf Erden,

ein jeder muss ihr Sklave werden:

der Jugend ungebrochne Kraft,

des reifen Alters Leidenschaft.

Und wer an Liebe nicht mehr glaubt,

hat sich des schönsten Schmucks beraubt.

Onegin, dir kann ich's vertrauen,

unsagbar liebe ich Tatjanen.

Gar trüb es um mein Leben stand,

da sah Tatjana ich und fand

gleich Sonnenstrahl nach Nebelwetter

in ihrem Wesen meinen Retter.

Inmitten junger und Betagter

und aufgeblasner Ziererei,

verwegner, schlauer und verzagter,

verhasster plumper Heuchelei,

inmitten lächerlicher Schwätzer,

frivoler, glaubensloser Ketzer

inmitten dummer Eitelkeit,

berechnend falscher Niedrigkeit,

inmitten feiler Bösewichter

und schnödem Spott, Verrat und Lug,

in einer Welt voll Hohn und Trug

und feigem, kriechendem Gelichtet,

da schimmert den Gestirnen gleich

Tatjanas Unschuld hell und heiter.

Sie macht mich glücklich, macht mich reich,

führt mich hinan die Himmelsleiter.

Onegin, der einst die Liebe der jungen Tatjana kalt zurückwies, entflammt nun in verzehrender Liebe zu ihr. Doch sein Schicksal ist besiegelt: Eugen Onegin verbrennt an seiner Herzenskälte.

Und 150 Jahre später? Würde Tschaikowsky heute ein anderes Urteil über die Gesellschaft fällen?
Und dennoch, gerade in dieser aufwühlenden, beängstigenden und fordernden Zeit, in der Leben und Würde des Menschen mehr denn je bedroht sind, sagt uns der Komponist mit seiner Musik aber auch:

„Ein jeder kennt die Lieb' auf Erden,
ein jeder muss ihr Sklave werden:
der Jugend ungebrochne Kraft,
des reifen Alters Leidenschaft.
Und wer an Liebe nicht mehr glaubt,
hat sich des schönsten Schmucks beraubt.“

Lassen wir uns nicht „des schönsten Schmucks“ berauben. „Spinne deinen Faden und finde deinen Herzschlag“ und „Schau nach oben und du kannst die Sterne greifen“ …

In diesem Sinne wünscht Convivio mundi allen,

unseren Mitgliedern, Freunden, Unterstützern und Interessierten

ein gesundes, glückliches und friedvolles neues Jahr.

Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Dienstag, 28. Dezember 2022

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