Bildintro Jahresgruß 2025

Zum 100. Todestag von Giacomo Puccini (1858–1924)
„O Liebe, Licht der Welt!“

Mit diesem Credo endet das Libretto von Turandot, der letzten, unvollendeten Oper des italienischen Komponisten Giacomo Puccini (1858–1924). Wahrscheinlich werden viele mit Blick auf das neue Jahr 2025 insbesondere bei diesem Pathos nur noch ein müdes Lächeln im Gesicht hervorbringen, scheinen sich doch gegenwärtig Hass und Unmenschlichkeit unaufhaltsam in der Welt auszubreiten. Und dennoch Puccini, dessen 100. Todestag sich im November 2024 jährte, hat mit Turandot ein Werk geschaffen, welches sich in den 100 Jahren seit seiner Entstehung auf den Opernbühnen stets behauptet und an Aktualität nichts verloren hat – ein Plädoyer für Menschlichkeit und Liebe.

Turandot erzählt die Geschichte der chinesischen Prinzessin Turandot, Tochter des alten Kaisers von China „vor uralten Zeiten“. Unvermählt und berüchtigt für ihre „mörderische Schönheit“ zieht sie Freier aus allen Landen an den Kaiserhof in Peking und prüft sie auf ihre Tauglichkeit mit ihren Rätseln. Erbarmungslos und grausam, „kalt wie dies Schwert“ und „umgürtet von Eis“ lässt sie jedoch jeden Freier hinrichten, der ihre drei Rätsel nicht lösen kann.
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« Werbeposter für Giacomo Puccini's Oper "Turandot", vom 25. April 1926

Auch Kalaf, ein ihr unbekannter Prinz und Sohn Timurs, gestürzter Herrscher der Tataren, erblickt sie gerade in dem Moment als der Prinz von Persien, an ihren Rätseln gescheitert, zum Henker geführt wird. Kalaf verfällt sofort ihrer Schönheit, entschlossen ihre Liebe zu gewinnen:

„Ich folge meinem Schicksal!
Ich fühle in mir ein Fieber,
ein Delirium!
Meine Sinne quälen mich wild!
Meine ganze Seele ist
nur ein Schrei:
Turandot! Turandot! Turandot!“

Trotz aller Warnungen seitens der Minister und selbst des alten Kaisers:

„Und dieses heil’ge Szepter
trieft doch schon von Blut!
Ich will kein Blut mehr sehen!
Jüngling, hinweg!“

schlägt Kalaf wagemutig den Gong und meldet sich zur Probe an.

Stolz und unbeugsam behauptet Turandot mit ihrer kalten Sopranstimme zunächst: „ Nein, niemand soll mich haben! / In mir lebt wieder auf der Stolz / der unberührten Frau! / O Fremdling! Keiner soll mich je besitzen […] Nie beug’ ich mich dem Mann!“ Aber Puccini führt hinter diese eisige Maske der Grausamkeit und des Stolzes und konfrontiert uns durch seine Musik mit dem Selbstfindungsprozess einer jungen, traumatisierten Frau, in deren Seele der „Schrei“ ihrer Ahnin Lo-u-ling ertönt und nach Rache ruft, Lo-u-ling entführt, vergewaltigt und getötet von einem fremden König, der vor tausenden Jahren das Reich überfiel und besiegte:

„In diesem Schloß,
vor vielen tausend Jahren,
ertönte einst verzweiflungsvoll ein Schrei.
Der Schrei,
er drang durch lange Ahnenreihen
bis her zu mir und füllt nun meine Seele.
[…]
Doch in der Zeit, wie jeder von euch lernte,
war viele Furcht und großer Lärm der Waffen!
Das Reich besiegt! Vom Feind bezwungen!
Und Lo-u-ling, die Ahne mein,
entführet von einem Mann
wie du, von einem Fremden!
Bis in der grauenvollsten aller Nächte
Lo-u-lings Stimme frischer Klang verstummte!
[…]
Ich sühne jenen Tod,
ich sühne jene Untat
an euch mit eurem Tode!
Keiner wird mein Gemahl!
Denn die Missetat des Fremdlings
flößte zuviel Grau’n mir ein!
Nein, niemand soll mich haben!
In mir lebt wieder auf der Stolz
der unberührten Frau!
O Fremdling! Keiner soll mich je besitzen!
Drei sind die Rätsel,
einer ist der Tod!“

Puccinis Turandot ist aber auch eine bewegende, dramatische Mahnung und Studie, wohin ungezügelter Machtmissbrauch seitens der Herrschenden führen kann, sobald jegliche Kontrollmechanismen aufgehoben und an die Stelle von Menschlichkeit und Nächstenliebe die Gier nach Einfluss, Macht und Geld getreten sind – ein Prozess, der heute im Hinblick auf die Machtkonzentration bei Oligarchen und Tech-Milliardären offensichtlich nichts an Aktualität eingebüßt hat.

So kann Turandot ihren alten Vater in ihrem Rachewahn so weit manipulieren, dass er folgendes Gesetz erlässt:

„Höre, o Volk von Peking!
Das Gesetz lautet:
Turandot, die Reine, eh’licht
den Mann von königlichem Blut,
der die drei Rätsel löst,
die sie ihm aufgibt.
Doch wer die Probe sucht
und nicht besteht,
soll fallen von der Hand
des Henkers!“

Und das Volk, das begeistert „10.000 Jahre unserm Kaiser“ jubelt, schreit und fordert ebenso:

„Recht so! Er sterbe!
Wir wollen nach dem Henker rufen!
Schnell, schnell!
Er sterbe, er sterbe!
Auf zur Hinrichtung!“

So heißt es in der Regieanweisung: „Auf den Zinnen sieht man Pfähle, auf die die Köpfe der Hingerichteten gespießt sind. […]Auf der Ringmauer erscheinen und verschwinden die Schatten der für Turandot Gestorbenen. Ihre Stimmen hört man geheimnisvoll, wie von ferne.“

Doch Puccini setzt diesem Grauen und Töten, „ein furchtbares Gemetzel“, mit der warmherzigen, liebevollen Sklavin Liu die machtvollere Kraft der Menschlichkeit und Liebe entgegen. Liu, ebenfalls eine Sopranstimme, hat Timur, Kalafs alten Vater und „König ohne Reich“ auf der Flucht begleitet und bettelnd um Brot geführt und mit ihm überlebt: „ … nur eine Stimme hörte / ich mir sagen: / „Komm mit mir, ich will dich führen...“ / Das war Liù!“ Auch Liu liebt Kalaf, um ihn und den Vater zu retten, trotzt sie standhaft den Forderungen der aufgepeitschten Menge in Peking: „Spannt sie auf die Folter! / Sie soll reden oder sterben!“, trotzt und verwirrt Turandot zutiefst in ihrem Ich:

TURANDOT

„Laßt sie frei!
Sprich!
(Liù wird entfesselt.)

LIÙ

Dann lieber den Tod!

TURANDOT

Wer hat deinem Herzen
solchen Heldenmut gegeben?

LIÙ

Die Liebe, Prinzessin!

TURANDOT

Die Liebe?

LIÙ

Diese heimliche Liebe,
die ich nie eingestand;
sie ist so gewaltig,
daß die Folter mir süß“

Liu kommt den Folterknechten zuvor und tötet sich. Ihr Opfer durchkreuzt den Wahnsinn des nicht enden wollenden Rachefeldzuges der erbarmungslosen, ruhmsüchtigen, stolzen Turandot, die sich nun auch vor dem Volk zu ihrer Liebe zu Kalaf und ihrem wahren menschlichen Selbst bekennt.

Giacomo Puccini begann im Januar 1921 mit der Vertonung der Turandot angeregt durch Friedrich Schillers Turandot aus dem Jahr 1801 und Carlo Gozzis Werk aus dem Jahr 1762. Er hatte die Oper 1924 bis zum Tode der Liu fertig komponiert, es fehlte nur noch das Schlussduett. „Eine markante, schöne, ungewöhnliche Melodie“ sollte es für das Duett sein. Sein Tod am 29. November 1924 hinderte ihn jedoch daran, diese Melodie zu finden.

Mögen also auch wir im neuen Jahr versuchen, unser Herz vom Eis zu befreien. Mögen wir den Mut haben, uns auf die Rätsel einzulassen. Beginnen und meistern wir wie Kalaf, der unbekannte Prinz, zunächst das erste Rätsel:

TURANDOT

Wohlan, so höre!
„Durch die tiefe Nacht schwebt
ein farbig schillerndes Phantom,
schwebet auf und nieder
über der Menschen endlosem Gewühl!
Fassen möcht’ es ein jeder,
um durch die Welt mit ihm zu fliegen!
Das Phantom ist am Morgen verschwunden,
doch wird es aufs neue geboren!
Wird jede Nacht geboren,
um jeden Tag zu sterben!“

DER UNBEKANNTE PRINZ

Ja! von neuem, von neuem,
wird geboren […):

Die Hoffnung!

DIE WEISEN (öffnen die erste Rolle.)

Die Hoffnung!

In diesem Sinne wünscht Convivio mundi allen, unseren Mitgliedern, Freunden, Unterstützern und Interessierten ein gesundes und glückliches neues Jahr und Frieden.

Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Donnerstag, 2. Januar 2025

(©Bild 1 oben: Tumiso auf Pixabay / bearbeitet: CM)
(©Bild 2 oben: Leopoldo Metlicovitz (1868–1944) / Wikipedia)

„O Liebe, Licht der Welt!“

Jahresgruß 2025


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