Gotthold Ephraim Lessing
„Eine Gesundheit
Trinket, Brüder, laßt uns trinken.
Bis wir berauscht zu Boden sinken;
Doch bittet Gott den Herren,
Daß Könige nicht trinken.
Denn da sie unberauscht
Die halbe Welt zerstören,
Was würden sie nicht tun,
Wenn sie betrunken wären?"
Welch eine Visitenkarte wird uns hier von Gotthold Ephraim Lessing, am 22. Januar 1729 im schönen sächsischen Kamenz geboren, überreicht!
Lessing war nie ein angepaßter Zeitgenosse. Er lebte mit seiner Zeit, aber war nie ihr Geschöpf!
Schon als junger Mensch versucht er mit viel Witz gegen die übelsten Vorurteile seiner Zeit anzugehen, wie seine beiden ersten Stücke "Der junge Gelehrte" und "Die Juden" (mit 18 und 20 Jahren geschrieben) zeigen.
Mit seinem dramatischen Gedicht "Nathan, dem Weisen" - 1779 zwei Jahre vor seinem Tod erschienen – hat Lessing eine einzigartige Metapher über die drei großen Weltreligionen und ihren jahrtausende alten Kampf um die "beste und wahre" Religion geschaffen. Es ist offensichtlich, wie sehr wir in der heutigen Zeit angesichts eines gefährlichen Absturzes in einen "Krieg der Zivilisationen" an diesem Vermächtnis zu "kauen und zu verdauen" haben. Ist es doch an uns, den "Kindes-Kindeskindern" der "Steine Kräfte" wirken zu lassen und den Dialog der Kulturen und Religionen zu beginnen, um zu verhindern, daß Geschichte sich wiederholt.
Der Artikel von Renate Müller De Paoli wurde Anfang 2004 zum 275. Geburtstag von Gotthold Ephraim Lessing geschrieben.
Gotthold Ephraim Lessing:
„Ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden!"
„Eine Gesundheit
Trinket, Brüder, laßt uns trinken.
Bis wir berauscht zu Boden sinken;
Doch bittet Gott den Herren,
Daß Könige nicht trinken.
Denn da sie unberauscht
Die halbe Welt zerstören,
Was würden sie nicht tun,
Wenn sie betrunken wären?"
Wie gern folgte jeder dieser Aufforderung von Gotthold Ephraim Lessing, am 22. Januar 1729 im schönen sächsischen Kamenz geboren, um seinen 275. Geburtstag zu feiern.
Welch eine Visitenkarte wird uns hier überreicht! Lessing war nie ein angepaßter Zeitgenosse. Er lebte mit seiner Zeit, aber war nie ihr Geschöpf!
Schon als junger Mensch trotzte er, der Pfarrerssohn, nicht nur den Berufswünschen seiner Eltern, sondern legte sich bald mit der sogenannten "Autorität" der öffentlichen Meinung und der akademischen Welt an. Mit 18 schreibt er sein erstes Lustspiel "Der junge Gelehrte", welches 1748 mit großem Erfolg von der Neuberschen Schauspieltruppe aufgeführt wird.
In seinem zweiten Stück "Die Juden" versucht der 20jährige Lessing, mit viel Witz gegen die Verdummung und übelsten Vorurteile seiner Zeit anzugehen und die Unterdrückung und Gettoisierung der Juden in Deutschland zu brandmarken. Er schreibt in der Vorrede:
"Es war das Resultat einer sehr ernsthaften Betrachtung über die schimpfliche Unterdrückung, in welcher ein Volk seufzen muß, das ein Christ, sollte ich meinen, nicht ohne eine Art von Ehrerbietung betrachten kann. Aus ihm, dachte ich, sind ehedem soviel Helden und Propheten aufgestanden, und jetzo zweifelt man, ob ein ehrlicher Mann unter ihm anzutreffen sei? Meine Lust zum Theater war damals so groß, daß sich alles, was mir in den Kopf kam, in eine Komödie verwandelte. Ich bekam also gar bald den Einfall, zu versuchen, was es für eine Wirkung auf der Bühne haben werde, wenn man dem Volke die Tugend da zeigte, wo es sie ganz und gar nicht vermutet."
So erklärt die Hauptfigur des Stückes, ein jüdischer Reisender:
"Sollen Treu' und Redlichkeit unter zwei Völkerschaften herrschen, so müssen beide gleich viel dazu beitragen. Wie aber, wenn es bei der einen ein Religionspunkt und beinahe ein verdienstliches Werk wäre, die andre zu verfolgen? (.....) Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund allgemeiner Urteile über ganze Völker - Sie werden meine Freiheit nicht übelnehmen. - Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und böse Seelen geben könne."
Und im Schlußdialog, nachdem die schlimmsten ideologischen, ja rassistischen Klischees der damaligen Zeit gegen die Juden geäußert worden sind, läßt Lessing seine beiden Hauptdarsteller sagen:
Der Baron, der Christ: "Alles, was ich von Ihnen sehe, entzückt mich.(.....) O, wie achtungswürdig wären die Juden, wenn sie alle Ihnen glichen.
Der Reisende, der Jude: "Und wie liebenswürdig die Christen, wenn sie alle ihre Eigenschaften besäßen!"
Das Theater seiner Zeit
Scharf kritisiert er die Theaterschaffenden mit ihren entwürdigenden "Klamaukvorstellungen": "Man kannte keine Regeln; man bekümmerte sich um keine Muster. Unsre Staats- und Heldenaktionen waren voller Unsinn, Bombast, Schmutz und Pöbelwitz. Unsre Lustspiele bestanden in Verkleidungen und Zaubereien; und Prügel waren die witzigsten Einfälle derselben." (Heutige, von Theaterkritikern hochgejubelte Inszenierungen scheinen lediglich pornographische Nacktheit und Sexismus hinzuzufügen.)
Lessing stellt einen anderen Anspruch an Kunst und Theater, kritisiert und polemisiert in den "Briefen, die neueste Literatur betreffend" und beginnt sogar Theatergurus wie Gottsched und die Idee eines neuen, "französierenden Theaters" in Deutschland anzugreifen.
Das Genie William Shakespeare
Stattdessen holt Lessing für das deutsche Publikum William Shakespeare auf den Theaterthron, das Genie, welches den Menschen "durch und durch gesehen hat":
"Wenn man die Meisterstücke des Shakespeare, mit einigen bescheidenen Veränderungen, unsern Deutschen übersetzt hätte, ich weiß gewiß, es würde von bessern Folgen gewesen sein, als daß man sie mit dem Corneille und Racine so bekannt gemacht hat. Erstlich würde das Volk an jenem weit mehr Geschmack gefunden haben, als es an diesen nicht finden kann; und zweitens würde jener ganz andere Köpfe unter uns erweckt haben, als man von diesen zu rühmen weiß. Denn ein Genie kann nur von einem Genie entzündet werden; und am leichtesten von so einem, das alles bloß der Natur zu verdanken zu haben scheinet, und durch die mühsamen Vollkommenheiten der Kunst nicht abschrecket."
Und in der "Hamburgischen Dramaturgie" schreibt er:
"Man tadelt", sagt einer von unsern neuesten Skribenten, "an Shakespeare - demjenigen unter allen Dichtern seit Homer, der die Menschen, vom Könige bis zum Bettler, und von Julius Cäsar bis zu Jack Falstaff am besten gekannt und mit einer Art unbegreiflicher Intuition durch und durch gesehen hat - daß seine Stücke keinen, oder doch nur einen sehr fehlerhaften unregelmäßigen und schlecht ausgesonnenen Plan haben; daß Komisches und Tragisches darin auf seltsamste Art durcheinander geworfen ist und oft ebendieselbe Person, die uns durch die rührende Sprache der Natur Tränen in die Augen gelockt hat, in wenigen Augenblicken darauf uns durch irgendeinen seltsamen Einfall oder barockischen Ausdruck ihrer Empfindugen, wo nicht zu lachen macht, doch dergestalt abkühlt, daß es ihm hernach sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu setzen, worin er uns haben möchte. - Man tadelt das und denkt nicht daran, daß seine Stücke eben darin natürliche Abbildungen des menschlichen Lebens sind."
Lessing ist begeistert und fasziniert, mit welcher poetischen Genialität Shakespeare in jedem Stück "Natur aus erster Hand" auf die Bühne bringt. In schönster und überzeugendster Weise bereitet Shakespeare, der 1564 geboren ist, über 150 Jahre früher den Boden für die Lessing'sche Theorie über das Trauerspiel vor, welche dieser in der Auseinandersetzung mit seinen Freunden Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai besonders in den Jahren 1756/57 entwickelt.
Die Tragödie soll Leidenschaften erregen!
Im November 1756 widerspricht Lessing in einem Brief an Nicolai dessen These:"Das Trauerspiel soll bessern" und schreibt:
"Es kann seyn, daß wir dem Grundsatze: Das Trauerspiel soll bessern, manches elende aber gutgemeinte Stück schuldig sind". Lessing postuliert: "Die Tragödie soll Leidenschaften erregen!" Und gibt damit die Mittel an, um den Endzweck, nämlich Besserung zu erreichen:
"Das meiste wird darauf ankommen: was das Trauerspiel für Leidenschaften erregt. In seinen Personen kann es alle mögliche Leidenschaften wirken lassen, die sich zu der Würde des Stoffes schicken. Aber werden auch zugleich alle diese Leidenschaften in den Zuschauern rege? Wird er freudig? wird er verliebt? wird er zornig? wird er rachsüchtig? Ich frage nicht, ob ihn der Poet so weit bringt, daß er diese Leidenschaften in der spielenden Person billiget, sondern ob er ihn so weit bringt, daß er diese Leidenschaften selbst fühlt, und nicht blos fühlt, ein andrer fühle sie?
Kurz, ich finde keine einzige Leidenschaft, die das Trauerspiel in dem Zuschauer rege macht, als das Mitleiden.(.....) Wenn es also wahr ist, daß die ganze Kunst des tragischen Dichters auf die sichere Erregung und Dauer des einzigen Mitleidens geht, so sage ich nunmehr, die Bestimmung der Tragödie ist diese: Sie soll unsere Fähigkeit, Mitleid zu fühlen, erweitern! Sie soll uns nicht blos lehren, gegen diesen oder jenen Unglücklichen Mitleid zu fühlen, sondern sie soll uns so weit fühlbar machen, daß uns der Unglückliche zu allen Zeiten, und unter allen Gestalten, rühren und für sich einnehmen muß. Und nun berufe ich mich auf einen Satz, den Ihnen Herr Moses vorläufig demonstriren mag, wenn Sie, Ihrem eignen Gefühl zum Trotz, daran zweifeln wollen.
Der mitleidigste Mensch ist der beste Mensch, zu allen gesellschaftlichen Tugenden, zu allen Arten der Großmuth der aufgelegteste.
Wer uns also mitleidig macht, macht uns besser und tugendhafter, und das Trauerspiel, das jenes thut, thut auch dieses, oder - es thut jenes, um dieses thun zu können."
Lessing schreibt - herausgefordert von Moses Mendelssohn- 1755 innerhalb von nur sechs Wochen das erste große Trauerspiel "Miss Sara Sampson"und vollendet 1772 seine "Emilia Galotti". Wem geht hier das Lessing'sche "Recht gern", welches der Prinz Guastalla in seiner schwärmerischen Verliebtheit für Emilia auf die Vorlage eines Todesurteils zur Unterschrift ausruft, nicht durch "Mark und Bein". Lessing läßt Rota, einen der Räte des Prinzen, indem er die Papiere zu sich nimmt und abgeht, entsetzt sagen: "Recht gern? - Ein Todesurteil recht gern? - Ich hätt' es ihn in diesem Augenblicke nicht mögen unterschreiben lassen, und wenn es den Mörder meines einzigen Sohnes betroffen hätte. - Recht gern! Recht gern! - Es geht mir durch die Seele, dieses gräßliche "Recht gern!" (1. Aufzug, 8. Auftritt)
Nathan der Weise
Sieben Jahre später, 1779, erscheint "Nathan der Weise", ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen., mit welchem er seinem Freund Moses Mendelssohn ein wunderbares Monument der Verehrung setzt, und welches "ein so rührendes Stück, als ich nur immer gemacht habe," wird.
Die Entstehungszeit des "Nathans" ist für Lessing eine der schwierigsten seines Lebens. Ende des Jahres 1777 stirbt sein einziger Sohn kurz nach der Geburt, kurz danach seine Frau Eva König. Er schreibt am 31. Dezember 1777 an Eschenburg: "Ich ergreife den Augenblick, da meine Frau ganz ohne Besonnenheit liegt, um Ihnen für Ihren gütigen Anteil zu danken. Meine Freude war nur kurz: Und ich verlor ihn so ungern, diesen Sohn! denn er hatte so viel Verstand! so viel Verstand! - Glauben Sie nicht, daß die wenigen Stunden meiner Vaterschaft mich schon zu einem Affen von Vater gemacht haben! Ich weiß, was ich sage. - War es nicht Verstand, daß man ihn mit eisern Zangen auf die Welt ziehen mußte? daß er so bald Unrat merkte? - War es nicht Verstand, daß er die erste Gelegenheit ergriff, sich wieder davon zu machen? - freilich zerrt mir der kleine Ruschelkopf auch die Mutter mit fort! - Denn noch ist wenig Hoffnung, daß ich sie behalten werde. - Ich wollte es auch einmal so gut haben wie andere Menschen! Aber es ist mir schlecht bekommen."
Darüberhinaus eskaliert die Auseinandersetzung mit dem Hamburger Pfarrer Goeze um die Veröffentlichung der Reimarus-Fragmente. Lessing, der schon von einigen als Spinozist, also Atheist verunglimpft wird, soll, so wird behauptet, nun mittelbar und unmittelbar feindselige Angriffe gegen die christliche Religion führen - nur weil er im Leibnizschen Geist gegen jedes religiös-fundamentalistische Schwärmertum die Einheit von Glaube und Vernunft verteidigt und den Grundsatz, "daß man keinen Menschen in der Erkenntnis der Wahrheit nach seinem eigenen Gutdünken fortzugehen hindern" darf und muß. Lessing muß jetzt kämpfen, um seine Schriften vor der Zensur zu schützen. Es geht um seine Existenz und "ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater wenigstens, noch ungestört will predigen lassen."
Er schreibt am 11. August 1778 an seinen Bruder Karl:
"Es wird auf Goezen ankommen, ob meine künftigen Antworten klein oder groß werden.(.....) und da habe ich diese vergangene Nacht einen närrischen Einfall gehabt. Ich habe vor vielen Jahren einmal ein Schauspiel entworfen, dessen Inhalt eine Art von Analogie mit meinen gegenwärtigen Streitigkeiten hat, die ich mir damals wohl nicht träumen ließ. Wenn Du und Moses es für gut finden,so will ich das Ding auf Subskription drucken lassen.(.....) Ich möchte zwar nicht gern, daß der eigentliche Inhalt meines anzukündigenden Stücks allzufrüh bekannt würde; aber doch, wenn Ihr, Du oder Moses, ihn wissen wollt, so schlagt das "Decamerone" des Boccaccio auf: Giornata I, Nov. III. Ich glaube, eine sehr interessante Episode dazu erfunden zu haben, daß sich alles sehr gut soll lesen lassen, und ich gewiß den Theologen einen ärgern Possen damit spielen will, als noch mit zehn Fragmenten.(.....)"
Lessing will mit dem "Nathan" "dem Feinde auf einer andern Seite damit in die Flanke fallen."
Aber auch die persönlichen Schicksalsschläge klingen auf ergreifendste Weise im Dialog Nathans mit dem Klosterbruder (4. Aufzug, 7. Auftritt) mit:
Nathan:
"Ihr traft mich mit dem Kinde zu Darun.
Ihr wißt wohl aber nicht, daß wenig Tage
Zuvor, in Gath die Christen alle Juden
Mit Weib und Kind ermordet hatten; wißt
Wohl nicht, daß unter diesen meine Frau
Mit sieben hoffnungsvollen Söhnen sich
Befunden, die in meines Bruder Hause,
Zu dem ich sie geflüchtet, insgesamt
Verbrennen müssen.
Klosterbruder:
Allgerechter!
Nathan:
Als
Ihr kamt, hatt' ich drei Tag' und Nächt' in Asch'
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. -
Geweint? Beiher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;
Der Christenheit den unversöhnlichsten
Haß zugeschworen -
Klosterbruder:
Ach! Ich glaub's Euch wohl!
Nathan:
Doch nun kam die Vernunft allmählich wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm' "und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Ratschluß das! Wohlan!
Komm! übe, was du längst begriffen hast,
Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
Als zu begreifen ist, wenn Du nur willst.
Steh auf!" - Ich stand! und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, daß ich will! - Indem stiegt Ihr
Vom Pferd, und überreichtet mir das Kind,
In euern Mantel eingehüllt. - Was Ihr
Mir damals sagtet; was ich Euch: hab ich
Vergessen. Soviel weiß ich nur; ich nahm
Das Kind, trug's auf mein Lager, küßt' es, warf
Mich auf die Knie und schluchzte: Gott! auf Sieben
Doch nun schon Eines wieder!"
Klosterbruder:
Nathan! Nathan!
Ihr seid ein Christ! - Bei Gott, Ihr seid ein Christ!
Ein beßrer Christ war nie!
Nathan:
Wohl uns! Denn was
Mich Euch zum Christen macht, das macht Euch mir zum Juden!"
Im Gespräch zwischen dem jungen Tempelherrn, der Nathan's Findel, Recha, mutig ein zweites Mal aus den Flammen vor dem Tode rettet, und dem christlichen Patriarchen von Jerusalem steht dieses Maß an Menschlichkeit und Vergeben dem religiösen Fanatismus, der Machtgier und Rachsucht des Patriarchen gegenüber (4. Aufzug, 2. Auftritt):
Tempelherr:
Gesetzt, ehrwürdiger Vater,
Ein Jude hätt' ein einzig Kind, - es sei
Ein Mädchen, - das er mit der größten Sorgfalt
Zu allem Guten auferzogen, das
Er liebe mehr als seine Seele, das
Ihn wieder mit der frömmsten Liebe liebe.
Und nun würd' unser einem hinterbracht,
Dies Mädchen sei des Juden Tocher nicht;
Er hab' es in der Kindheit aufgelesen,
Gekauft, gestohlen, - was Ihr wollt; man wisse,
Das Mädchen sei ein Christenkind, und sei
Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdin
Erzogen; lass' es nur als Jüdin und
Als seine Tochter so verharren: - sagt,
Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbei wohl
Zu tun?..
......
Patriarch:
Dann wäre an dem Juden fördersamst
Die Strafe zu vollziehn, die päpstliches
Und kaiserliches Recht so einem Frevel,
So einer Lastertat bestimmen.
Tempelherr:
So?
Patriarch:
Und zwar bestimmen obbesagten Rechte
Dem Juden, welcher einen Christen zur
Apostasie verführt, - den Scheiterhaufen, -
Den Holzstoß – (.....)
Tempelherr:
Wenn aber nun das Kind,
Erbarmte seiner sich der Jude nicht,
Vielleicht im Elend umgekommen wäre?
Patriarch:
Tut nichts! der Jude wird verbrannt! - Denn besser,
Es wäre hier im Elend umgekommen,
Als daß zu seinem ewigen Verderben
Es so gerettet ward. - Zudem, was hat
Der Jude Gott denn vorzugreifen? Gott
Kann, wen er retten will, schon ohn' ihn retten."
Doch "dank der Blutbegier des Patriarchen" erschauert nicht nur der junge Tempelherr und schreckt davor zurück , zum Werkzeug dieses Herrn zu werden, auch den Klosterbruder ekeln die Aufträge des Patriarchen an. Er läßt den "gesunden Menschenverstand" sprechen (4. Aufzug, 7. Auftritt):
Klosterbruder:
Traut mir, Nathan!
Denn seht, ich denke so! Wenn an das Gute,
Das ich zu tun vermeinte, gar zu nah
Was gar zu Schlimmes grenzt: so tu ich lieber
Das Gute nicht; weil wir das Schlimme zwar
So ziemlich zuverlässig kennen, aber
Bei weitem nicht das Gute. - War ja wohl
Natürlich; wenn das Christentöchterchen
Recht gut von Euch erzogen werden sollte:
Daß Ihr's als Euer eigen Töchterchen
Erzögt. - Das hättet Ihr mit aller Lieb'
Und Treue nun getan, und müßtet so
Belohnet werden? Das will mir nicht ein.
Ei freilich, klüger hättet Ihr getan;
Wenn Ihr die Christin durch die zweite Hand
Als Christin auferziehen lassen: aber
So hättet Ihr das Kindchen Eures Freunds
Auch nicht geliebt. Und Kinder brauchen Liebe,
Wär's eines wilden Tieres Lieb' auch nur,
In solchen Jahren mehr, als Christentum.
Zum Christentum hat's noch immer Zeit.
Wenn nur das Mädchen sonst gesund und fromm
Vor Euern Augen aufgewachsen ist,
So blieb's vor Gottes Augen, was es war.
Und ist denn nicht das ganze Christentum
Aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft
Geärgert, hat mir Tränen g'nug gekostet,
Wenn Christen gar so sehr vergessen konnten,
Daß unser Herr ja selbst ein Jude war."
Der Höhepunkt des Stückes aber entwickelt sich auf die Frage des Sultan Saladin, Beherrscher von Syrien, Arabien, Persien und Mesopotamien nach der wahren Religion (3. Aufzug, 6. Auftritt):
"Von diesen drei Religionen kann doch eine nur Die wahre sein. - "
Nathan, eigentlich "auf Geld gefaßt", erkennt sofort, daß Saladin "Wahrheit" will. Er erzählt ihm die berühmte Ringparabel, über den Kampf dreier Söhne um einen "Ring von unschätzbarem Wert". Denn dieser Ring "hatte die geheime Kraft, vor Gott und Menschen angenehm zu machen, wer in dieser Zuversicht ihn trug." Die Familientradition verlangte, daß der Ring jeweils dem "geliebtesten" Sohn vererbt werde.
„So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte(.....)"
Was ist zu tun. Nun, der Vater bestellt bei einem Künstler zwei weitere Ringe, die so vollkommen sind, daß "selbst der Vater seinen Musterring nicht unterscheiden" kann. Als nun der Vater stirbt, wähnt jeder der drei Söhne sich im Besitz des echten Ringes und will "Fürst des Hauses" sein. Der Streit entbrennt und endet vor Gericht. Nachdem der Richter alle Aussagen gehört, führt er die Kläger selbst zur Urteilsfindung und erklärt:
„Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen,
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! - Nun, wen lieben zwei
Von euch am meisten? - Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? Und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? – O, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen."
Und der weise Richter fährt fort:
„Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! Komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hülf! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern,
So lad ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen
Als ich und sprechen. Geht! - So sagte der
Bescheidne Richter."
Doch nun entbrannte erst recht ein Sturm der Entrüstung und der Angriffe gegen Lessing, wie Moses Mendelsohn in den "Morgenstunden" schildert:
"Aber wie sehr veränderte sich die Scene, nach der Erscheinung des Nathan! Nunmehr drang die Kabale aus den Studierstuben und Buchläden in die Privathäuser seiner Freunde und Bekannten mit ein; flüsterte jedem ins Ohr: Lessing habe das Christentum beschimpft, ob er gleich nur einigen Christen und höchstens der Christenheit einige Vorwürfe zu machen gewagt hatte. Im Grunde gereicht sein Nathan, wie wir uns gestehen müssen, der Christenheit zur wahren Ehre. Auf welcher hohen Stufe der Aufklärung und Bildung muß ein Volk stehen, in welchem sich ein Mann zu dieser Höhe der Gesinnungen hinaufschwingen, zu dieser feinen Kenntniß göttlicher und menschlicher Dinge ausbilden konnte! - wenigstens, dünkt mich, wird die Nachwelt so denken müssen; aber so dachten sie nicht, die Zeitgenossen Lessings. Jeden Vorwurf des Eigendünkels und der einseitigen Denkungsart, den er einigen seiner Glaubensbrüder machte, oder durch seine dramatische Personen machen ließ, hielt ein jeder für eine persönliche Beleidigung, die ihm Lessing widerfahren. Der allenthalben willkommne Freund und Bekannte fand nunmehr allenthalben trockene Gesichter, zurückhaltende, frostige Blicke, kalte Bewillkommnung und frohe Abschiede, sah sich von Freunden und Bekannten verlassen und allen Nachstellungen seiner Verfolger blosgestellt. Sonderbar! Unter den abergläubigsten Franzosen hatte Candide für Voltaire bey weitem die schlimmen Folgen nicht, zog ihm diese Schmähschrift auf die Vorsehung bey weitem die Feindschaft nicht zu, die sich unter den aufgeklärtesten Deutschen Lessing durch die Vertheidigung derselben, durch seinen Nathan zugezogen, und traurig sind die Würkungen, die dieses in seinem Gemüthe hervorbrachte!"
Zwei Jahre nach der Veröffentlichung des "Nathan" stirbt Lessing am 15. Februar 1781 in Braunschweig. Zwei Jahre später am 14. April 1783 wird das Stück in Berlin aufgeführt. Aber die Rufmordkampagne gegen Lessing und seinen "Nathan" war so stark, daß "das Publikum (.....) bei der dritten Vorstellung beinahe ganz und gar zu Hause" blieb, da der "große Haufen seiner Zeitgenossen das Verdienst dieses Werkes" völlig verkannte. Denn "eine bessere Nachwelt werde", wie Moses Mendelssohn in seinem Kondolenzschreiben an Lessings Bruder Karl schreibt, "nach fünfzig Jahren daran lange Zeit kauen und zu verdauen finden. Er ist in der That mehr als ein Menschenalter seinem Jahrhundert zuvorgeeilt."
Das Genie Friedrich Schiller
Erst als Friedrich Schiller, der 1781, als Lessing stirbt, schon seine "Räuber" veröffentlicht hatte, den "Nathan" in seine dramaturgischen Hände nimmt und für das Hoftheater in Weimar bearbeitet -im November 1801, also 20 Jahre nach Lessings Tod - ist der Weg auf die Theaterbühnen erneut gebahnt. Er vervollkommnet das Versmaß, strafft und rundet, und versucht, einige der Charaktere, wie den Sultan Saladin, noch stärker zu idealisieren. So erlangt Lessing's "Nathan", der fast nur als Lesedrama gesehen wurde, wieder Bühnenwirkung.
Schillers künstlerischer Werdegang und Schaffen, wie das vieler Anderer der Weimarer Klassiker, wäre ohne das Genie Lessing nicht denkbar. Der junge Schiller zählt den 30 Jahre älteren Gotthold Ephraim Lessing zu den "Freunden seiner Jugend" und Lessings Schauspiele gehören "unter seine damaligen Lieblingsschriften". Als er am "Fiesco" arbeitet ,ist er "entschlossen, das Manuskript vor dem Druck Lessing zuzusenden und diesen um strenge Beurteilung zu bitten (an Wieland und Goethe mochte er sich nicht wenden, weil der erstere in einem Brief an Werthes, der ihm auf Schillers Bitten die Räuber zugeschickt hatte, kein ganz günstiges Urteil über diese gefällt und Goethes Urteil noch weniger günstig geschildert hatte). Allein Lessing starb, bevor er ihm das Manuskript zusenden konnte."
Schiller ist wie kein anderer in der Lage, in der Begeisterung und späteren Reibung mit Lessing, wie besonders seine Bemerkungen über den "Nathan" zeigen, Lessings Lebenswerk auf größere poetische und ästhetische Höhen zu heben – so seine theoretischen Schriften über "Die Schönheit", "Die tragische Kunst", "Die Ästhetische Erziehung des Menschen" und natürlich seine kleine Schrift "Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich bewirken? oder "Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet!"
Friedrich Schiller schreibt am 4. Juni 1799 in einem Brief an Goethe:
"Ich lese jetzt, in den Stunden, wo wir sonst zusammenkamen, Lessings Dramaturgie, die in der Tat eine sehr geistreiche und belebte Unterhaltung gibt. Es ist doch gar keine Frage, daß Lessing unter allen Deutschen seinerzeit über das, was die Kunst betrifft, am klarsten gewesen, am schärfsten und zugleich am liberalsten darüber gedacht und das Wesentliche, worauf es ankommt, am unverrücktesten ins Auge gefaßt hat."
Zwei Jahre vor seinem Tod, am 9. Mai 1805, vollendet Schiller 1803 "Die Braut von Messina oder Die feindlichen Brüder". Ein schönes Beispiel, wie neben den großen griechischen Dramatikern auch besonders Lessings "Nathan" in der "Motivführung" Schillers mitschwingen. So sagt er schon in der Vorrede "Über den Gebrauch des Chors in der Tragödie":
"Und dann halte ich es für ein Recht der Poesie, die verschiedenen Religionen als ein kollektives Ganze für die Einbildungskraft zu behandeln, in welchem alles, was einen eignen Charakter trägt, eine eigne Empfindungsweise ausdrückt, seine Stelle findet. Unter der Hülle aller Religionen liegt die Religion selbst, die Idee eines Göttlichen, und es muß dem Dichter erlaubt sein, dieses auszusprechen, in welcher Form er jedesmal am bequemsten und am treffendsten findet."
Lessing hat mit seinem "Nathan, dem Weisen" eine einzigartige Metapher über die drei großen Weltreligionen und ihren jahrtausendealten Kampf um die "beste und wahre" Religion geschaffen. Es ist offensichtlich, wie sehr wir in der heutigen Zeit angesichts eines gefährlichen Absturzes in einen "Kampf der Kulturen" an diesem Vermächtnis zu "kauen und zu verdauen" haben. Ist es doch an uns, den "Kindes-Kindeskindern" der "Steine Kräfte" wirken zu lassen und den Dialog der Kulturen und Religionen zu beginnen, um zu verhindern, daß Geschichte sich wiederholt.
Vorausgesetzt, wir verstehen den entscheidenden Grundsatz des Gotthold Ephraim Lessing und das wirkliche Geheimnis eines wahren Genies, das wiederum ein anderes Genie entzündet. Lessing schreibt in einer kleinen Schrift "Über das Streben nach Wahrheit":
"Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Wert des Menschen. Denn nicht durch den Besitz, sondern durch die Nachforschung der Wahrheit erweitern sich seine Kräfte, worin allein seine immer wachsende Vollkommenheit bestehet. Der Besitz macht ruhig, träge, stolz.-
Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir:
"Wähle!" ich fiele ihm mit Demut in seine Linke und sagte: "Vater, gib! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!"
Anmerkungen:
Gotthold Ephraim Lessing, Sämtliche Schriften, Hrsg. von Karl Lachmann, 23 Bde, besonders Bd. 17-21: Briefe von und an Gotthold Ephraim Lessing, Nachdruck de Gruyter
Lessings Werke, Hrsg. von Franz Bornmüller, 5 Bde, Leipzig-Wien, Bibliographisches Institut
G.E. Lessing , "Nathan der Weise", Reclam, Stuttgart 1990
G.E. Lessing: "Briefe, die neueste Literatur betreffend", Reclam,Leipzig, 1987
G. E. Lessing: "Hamburgische Dramaturgie", Reclam, Stuttgart, 1986
Moses Mendelssohn "Morgenstunden", Berlin 1785, Reclam, Stuttgart 1979
Friedrich Schiller, Sämtliche Werke, 5 Bde, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1984
Schillers Werke, Nationalausgabe, Weimar, Bd 13, 21
Friedrich Schiller, "Über naive und sentimentalische Dichtung" , Reclam, Stuttgart, 1993
Friedrich Schiller, "Die Braut von Messina", Reclam, Stuttgart, 1993
Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe, Insel Verlag, 1977