„Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder!"

Am 27. November im Leibnizhaus in Hannover.

Der Titel der Veranstaltung ist ein Zitat aus Friedrich Schillers „Die Götter Griechenlands“ und trägt den Untertitel: Musik und Poesie aus Griechenland, der Wiege Europas.
Gibt es das überhaupt, die „schöne Welt“? Gab es jemals eine Zeit, in der die Welt nur schön war? Selbst wenn alle Menschen diese Frage mit einem entschiedenen Nein beantworten könnten – wo wären wir, wenn wir nicht trotz einer von Gewinnstreben und Machtgier geprägten Wirklichkeit die Idee eines Schönen und Guten in uns trügen?
„Natürlich wollten wir provozieren“, erläuterte Renate Müller De Paoli das Motto der Veranstaltung. Wo wäre Europa, wenn uns nicht die Idee der Menschlichkeit aus den Taten eines Prometheus, den Leiden und der Beharrlichkeit eines Odysseus, den leidenschaftlichen Dialogen eines Sokrates entgegenleuchtete. „Wie lange“, so Müller De Paoli weiter, „können die neuen, selbsternannten Götter in der Finanzwelt noch Augen und Ohren verschließen vor einem Wissen, dass uns schon Sophokles warnend auf den Weg gab, als er 442 v. Christus in der Antigone schrieb:

„Die schlimmste Frucht, die je gesetzlich eingeführt

Ward unter Menschen, ist das Geld. Ja, Geld zerstört

Euch Städte, Geld verjagt euch Männer aus dem Haus,

und Geld ist auch der Lehrer, der das Herz betört,

sodass der brave Mann Abscheuliches begeht.

Ja, alle Schliche bringt das Geld den Menschen bei

und zeigt zu jedem Werk der Sünde einen Weg.

Doch alle, die hier mitgewirkt für schnöden Lohn,

die haben sich verwickelt, und die Strafe kommt!“

Es ging um griechische Poesie und Musik, die an diesem gelungenen Abend zu einem vielfarbigen Kranz gebunden wurde. Neben wunderbaren Klängen der griechischen Liedtradition kam die Poesie auch nicht zu kurz.

Mitglieder von Convivio mundi e.V. sprachen Auszüge aus Dramen und Gedichte in deutscher Sprache:
„Ich dich ehren, wofür?“ diese Worte wirft Prometheus in Goethes gleichnamigen Gedicht Zeus entgegen, der ihn mit ewiger Qual bestraft hat, weil der Menschenfreund Prometheus den Menschen das Feuer brachte. Auch in den Szenen aus Sophokles „Antigone“ geht es um die grundsätzlichsten Fragen: Der Sohn Haimon versucht alles, um seinen Vater, den Despoten Kreon, umzustimmen, sagt ihm deutliche Worte: „Im Ödland wärst du passend als Alleinregent“; „Staat ist das nicht mehr, was nur e i n e m Mann gehört“, „Willst du immer nur selber reden, hörst auf nichts“. Doch umsonst: Kreon hält an seinem Todesurteil über Antigone fest, die ihren Bruder beerdigt und damit ein Menschenrecht und ein Gottesgesetz erfüllt hatte. Sie soll sterben, weil sie ein willkürliches Gesetz Kreons missachtet hatte.
Auch Platon kam in wohlklingender altgriechischer Sprache zu Wort. Zwei Schüler des Kaiser-Wilhelm-Rats-Gymnasiums in Hannover stellten Auszüge aus seinem Dialog „Gorgias“ über das Wesen der Rhetorik mitsamt deutscher Übersetzung vor.

„Angeregt durch diesen Abend, habe ich Vertonungen von griechischen Gedichten gesucht und sogar solche gefunden, die noch gar nicht bekannt sind“. So leitete die griechische Mezzosopranistin Theodora Baka, die in Hannover Gesang studiert hatte und in Griechenland lebt, ihr erstes Lied ein. Die zierliche Sängerin stellte mit großem Charme ihre Lieder selber vor. „Ich kann die Titel der Lieder nicht übersetzen. Das müssten Experten machen.“ Deshalb nannte sie nicht nur Dichter und Komponist, sie vermittelte auch eine Vorstellung des poetischen Inhalts. Ob von Mikis Theodorakis, Manos Hadjidakis oder Ilias Andriopoulos vertont, sind die Texte u.a. von Giorgos Seferis, Odysseas Elytis und Nikos Gatsos. Sie handeln von Natur und allem Menschlichen, vor allem von Liebe – alles verbunden mit einer großen Sehnsucht. Theodora Baka singt diese meist einfachen, volkstümlich klingenden Melodien mit großer Kunst. Ihre schöne lyrische Tongebung lässt der Melancholie der Texte und Melodien ihren Raum, ohne zu schwer zu werden. Immer hält sie die Balance zwischen Volks- und Kunstlied im sängerischen Sinne, so dass die Schönheit der Melodien und der Bilder weit über das einzelne Lied hinausträgt. Es ist nie Alltagsmusik, obwohl man sich sehr gut vorstellen kann, dass die Lieder in Griechenland in geselliger Runde zu einem Glas Wein gesungen werden. Manolis Stagakis begleitete die Sängerin mit seinem Akkordeon mit freien improvisatorischen Einleitungen und insgesamt passenden Klängen. Besonders die rhythmischen Verzahnungen der Begleitfiguren fielen auf und gaben der Musik den Pfiff.
Wie sehr die Melodien des Rembetiko die Komponisten (Theodorakis, Hadjidakis) des griechischen Liedguts beeinflusst hatten, wurde deutlich, als Theodora Baka einige Kostproben der Musik gab, die in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts vor allem von Flüchtlingen aus Kleinasien als improvisierte Musik erfunden wurde.
Es ist die Musik der Aussenseiter der griechischen Gesellschaft, oft Gesänge, die an die alte Heimat und an alte Zeiten erinnern. Rembetiko wird auch der Blues des Mittelmeeres genannt. Es wurden Lieder von Markos Vamvakaris und Vassilis Tsitsanis zu Gehör gebracht.

Wie sehr diese Lieder ein Teil der griechischen „Volksseele“ sind, wurde deutlich, als sie beim letzten Lied das Publikum bat, mitzusingen – eine Aufforderung, der diejenigen, die Melodie und Sprache beherrschten, gerne Folge leisteten.
Es war ein Lied von Theodorakis, das während der Diktatur besonders wichtig war.

Renate Müller De Paoli hatte aus der modernen griechischen Literatur einige Gedichte von Giorgos Seferis und Konstantinos Kavafis ausgewählt. Ein Volk wartet auf die Barbaren, sie sollen kommen und Gesetze geben und selbst de Kaiser will sich unterordnen. Aber die Barbaren kommen nicht – das Gedicht endet:

Und jetzt – ohne Barbaren
was wird aus uns?
Diese Leute waren immerhin
noch irgendeine Lösung!

Oder, wie „Warten auf die Barbaren“(1904) das Gedicht „In einer großen griechischen Kolonie, 200 v. Chr.“ (1928), ebenfalls von Kavafis geschrieben, „Ist die Zeit reif, dass wir einen politischen Reformer holen....haben aber die Reformer alles eingegrenzt und zurechgeschnitten,“ wird klar, dass radikale Reformer seltsame Operationen durchführen, die nicht viel übriglassen, bis die Bürger beschließen, erst einmal ohne diese vorwärtszukommen –

„Gleichwohl – gibt's etwas Menschliches,
das makellos wäre?
Sei's drum, na und – wir gehen ja vorwärts.“

Wer denkt bei derart politisch Klartext sprechenden Gedichten nicht an die Versprechungen, Kommission und Reformen, denen sich Griechenland heute unterzieht? Und daran dachte vielleicht auch das Publikum in Hannover, wie aus dem Schmunzeln ersichtlich war, das auf den Gesichtern lag.

Doch Unrecht, Isolation, Verlorensein, Verhärtung, Alter und Schmerz – auch das sind Themen der beiden Dichter. „Mauern“ von Kavafis wurde neben der deutschen Fassung auch in der neugriechischen Fassung durch die Vorsitzende der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Hannover, Kalliopi Filippou gesprochen. Ebenso die Gedichte „Wir kannten sie nicht“ von Giorgos Seferis und das bekannte Gedicht „Ithaka“ von Konstantinos Kavafis.

Und noch einmal Renate Müller De Paoli in ihrer Begrüßung:
„Ein Jahr, nachdem Elytis 1978 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, erschien sein „szenisches Gedicht“ Maria Nepheli (Anfang 1979,
In diesem Dialog zwischen der jungen Maria und einem Mann, der sich als Dichter offenbart, kämpft die junge Frau gegen die Auswüchse von Gier und Verschwendungssucht, die uns in eine neue Steinzeit zu stürzen drohen. Doch die Gegenstimme des Dichters, agierend wie ein antiker griechischer Chor, verheißt ihr Hoffnung auf Menschlichkeit und schlägt Maria am Ende eine ewige Wette vor.“ Odysseas Elytis wettet:

1 Dass du eines Tages in die junge Zitrone beißt
Und aus ihrem Innern
Ungeheure Mengen Sonne lösen wirst.

6 Dass die ganze Unbarmherzigkeit der Welt
Stein wird auf dem du fürstlich thronst
Einen zahmen Vogel in der hohlen Hand.

7 Dass ganz allein du schließlich leis
Dich fügen wirst der Herrlichkeit
Von Sonnenauf- und –untergang

Ein kleiner Rückblick auf unsere Veranstaltung:

Ithaka (Konstantinos Kavafis) 1911

Und brichst du auf nach Ithaka,
bitte darum, der Weg sei weit,
von Abenteuern voll und von Erkenntnissen.
Die Lästrygonen und Zyklopen,
den zornigen Poseidon fürchte nicht,
dergleichen findest du auf deinem Wege nie,
wenn dein Denken hoch, und wenn erlesenes
Gefühl an Geist und Leib dir rührt.
Den Lästrygonen und Zyklopen,
dem ungebärdigen Poseidon wirst du nicht begegnen,
wenn du sie nicht in deiner Seele mit dir trägst,
wenn deine Seele sie nicht vor dich hinstellt.

Bitte darum, der Weg sei weit.
Viele seien es der Sommermorgen,
wo du einfährst – so froh im Herzen,
mit welcher Freude – in nie gesehene Häfen;
Anhalten sollst du bei der Phönizier Faktoreien,
sollst ihre feinen Waren kaufen,
Perlmutter, Korallenschmuck und Ebenholz
erregendes Parfüm von jeder Art,
reichlich, soviel du kannst, erregendes Parfüm;
und in Ägypten geh' in viele Städte,
dass du lernst und lernst von den Gelehrten.

Immer behalte Ithaka in deinem Sinn.
Dort anzukommen ist dein Ziel.
Doch keinesfalls beeil' dich auf der Reise.
Besser, dass sie viele Jahre währt;
Und erst, wenn du alt geworden, lande
auf der Insel, reich an allem,
was du unterwegs erworben hast, und

hoffe nicht, dass Ithaka dir Reichtum schenkt.

Ithaka gab dir die schöne Reise.
Ohne Ithaka wärst du nie aufgebrochen.
Anderes kann es dir nicht mehr schenken.

Und findest du es arm, Ithaka betrog dich nicht.
So weise, wie du nun geworden, mit so viel Erfahrung,
da hast du ohnehin verstanden, was die Ithakas bedeuten.

(Übersetzung aus dem „Hauptwerk“ Gedichte griechisch und deutsch
Übersetzt und kommentiert von Jörg Schäfer
Universitätsverlag Winter, Heidelberg, 2003, S 116 ff)

Geschrieben von Birgit Brenner
Samstag, 01. Dezember 2012


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