Aber das Tor lass ich offen

Zur Erinnerung an David Maria Turoldo aus Anlass seines 30. Todestages

Auch in diesem Frühling 2022 verhindert die Corona-Pandemie wieder einmal, dass Convivio mundi wie jedes Jahr zur Veranstaltung in das Leibnizhaus in Hannover einlädt: zu unserem traditionellen „Gastmahl der Welt“. Mit Musik und Poesie haben wir dort stets Menschen zu Gehör gebracht, die mit ihren Ideen und ihrem Wirken nie nachgelassen haben, die Unantastbarkeit und Unverletzbarkeit der Menschenrechte und Menschenwürde zu verteidigen. Menschen wie David Maria Turoldo, den in Deutschland fast unbekannten Dichterpriester aus dem italienischen Friaul. Umso dankbarer sind wir, dass Carl Wilhelm Macke, freier Journalist und Geschäftsführer des Vereins Journalisten helfen Journalisten e.V., Turoldo aus Anlass seines 30. Todestages vorstellt. Besonders danken wir auch Dr. Thomas Stauder, Privatdozent an der Universität Augsburg, dass er einer Zweitveröffentlichung seines Beitrags „David Maria Turoldo – ein ,poeta prete' zwischen Meister Eckardt und Erich Fried“, zuerst erschienen in der Zeitschrift „Zibaldone“ im Mai 1994 im Piper Verlag, zugestimmt hat.

Intro zu Aber das Tor lass ich offen

Aber das Tor lass ich offen

David Maria Turoldo, der Dichterpriester aus dem Friaul

Nach einem Spaziergang durch die Innenstadt von Udine kehrten wir ermüdet in unser Hotel zurück. An der Rezeption händigte man uns den Zimmerschlüssel aus. Und zusätzlich erhielten wir noch ein Buch. Ein älterer Herr hätte dieses Geschenk an der Rezeption abgegeben. Den Namen des gastfreundlichen Herrn kannten wir von einer früheren Begegnung. Aber der Titel des Buches und der Name des Autors sagte uns nichts. Der Titel war kurz, aber irritierend mehrdeutig „O sensi miei“ (O meine Sinne). Und von David Maria Turoldo hatten wir noch nie etwas gehört. Aber gerade diese Unkenntnis machte uns auch ganz besonders neugierig. Schon bei einem ersten raschen Durchblättern des Bandes begann sich dann der Nebel unseres Unwissens zu lichten.
Es handelte sich bei dem Autor um einen in die Poesie verliebten Priester, dessen intellektuelle Welt durch und durch von seiner katholischen Herkunft geprägt wurde. Seine Bilderwelt entstammt der Bibel und den Erzählungen rund um das Leben von Heiligen. Priester blieb der Autor bis zu seinem Tod im Jahre 1992 in Mailand. Aber dieser flüchtige Blick auf die Vita von David Maria Turoldo reicht nicht aus, um das Besondere dieses Dichter-Priesters' zu verstehen, dessen Namen in Italien besonders in linkskatholischen Kreisen' bis heute mit großem Respekt genannt wird. Im deutschsprachigen Raum hingegen hat das Leben und das Werk von Turoldo kaum ein Echo gefunden hat. Auch wir kannten ihn ja bis zu unserem Besuch im Nordosten Italiens nicht.

Geboren wird David Maria Turoldo 1916 im friaulanischen Cederno. Mit achtzehn Jahren tritt er in Vicenza als Novize dem Orden der Servi di Maria' bei. 1940 wird er dort auch zum Priester geweiht. Ein Jahr später siedelt er nach Mailand um und lebt fortan dort in einem Kloster. Abweichend von den mehr oder weniger vorgezeichneten Lebensläufen italienischer Priester in jenen Jahren beginnt Turoldo sich frühzeitig für Lyrik zu interessieren und sich auch politisch innerhalb der antifaschistischen Resistenza zu engagieren. 1947 erscheint ein erster Gedichtband „Io non ho mani“ (Ich habe keine Hände). Ein zweiter Gedichtband „Ich hörte eine Stimme“, dessen Geleitwort Giuseppe Ungaretti, einer der größten Dichter Italiens im XX. Jahrhundert schreibt, erscheint 1949. Anstatt diese große Ehre zu loben, beginnt im damals erzkonservativen Vatikan eine deutliche Distanzierung von den Ideen und dem politischen Engagement des als zu reformfreudig geltenden Priesterpoeten. Die italienische Amtskirche und die Kurie im Vatikan hatten gegen eine Nähe ihres Klerus zur Democrazia Cristiana niemals Einwände, aber davon abweichende politische Sympathien einzelner Priester wurden immer heftig bekämpft. Turoldo flieht vor diesen Anfeindungen ins Ausland, zuerst nach England, später dann in die USA, nach Mexiko, Kanada und Südafrika. 1963 kehrt er dann in das sich langsam vom weltverschlossenen Katholizismus befreienden Italien zurück. Den sich vorsichtig der Welt öffnenden Papst Johannes XXIII. verehrt Turoldo sehr und leidlich von den üblichen Anfeindungen frei, kann er sich in dieser Zeit mehr und mehr dem Schreiben seiner Gedichte hingeben. In Udine dreht er einen Film über das einfache Leben der Menschen auf dem Land mit dem Titel „Gli Ultimi“ (Die Letzten) zusammen mit dem Regisseur Vito Pandolfi nach einer autobiographischen Erzählung aus der Vorkriegszeit. Anfang der 1960er Jahre gründet er in Sotto il Monte, dem Geburtsort von Papst Johannes XXIII. unweit von Bergamo, die Gemeinschaft „ Gli amici di Emmaus“.

In diese Jahre fällt eine besonders produktive Schaffenszeit im Leben des Dichterpriesters David Maria Turoldo. Nach und nach Erscheinen mehrere Gedichtbände, die auch in der nicht-katholischen Öffentlichkeit Italiens – unter anderen äußern sich Andrea Zanzotto und Luciano Erba enthusiastisch – ein Echo finden. Zwar nimmt Turoldo immer wieder besorgt Stellung zu Tendenzen einer kulturellen Restauration in der italienischen Politik und vor allem in der Kirche, aber im Mittelpunkt seiner Aktivitäten der letzten Lebensjahre steht jetzt das Schreiben von Gedichten.1991 erscheinen „Canti ultimi“ (Die letzten Gesänge), die allgemein als ein Höhepunkt im lyrischen Schaffen von Turoldo gelten. Er stirbt am 6.. Februar 1992 nach einer langen Krebserkrankung in Mailand. Der intellektuell hoch gebildete und auch in seinen theologischen Ansichten als reformerisch geltende Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini leitet den Begräbnisgottesdienst. In seiner Ansprache entschuldigt sich Martini auch „für das von der Kirche ihm gegenüber gezeigte Unverständnis und das ihm zugefügte Leid.“

Dieses von der Kirche' gegenüber dem Theologen und Lyriker David Maria Turoldo gezeigte Unverständnis war tatsächlich groß und musste dem treuen katholischen Priester oft Leid zugefügt haben. Mit keinem Wort und keiner Gedichtzeile hat Turoldo sich je vom katholischen Glauben distanziert. Er verstand sich immer als ein „Mystiker mit offenen Augen“ (Johann Baptist Metz). Seine Vorbilder waren Franziskus von Assisi, Katharina von Siena oder Theresa von Avila, deren Gedanken und Gebete er jedoch immer auch in die zeitgenössische Welt übersetzen wollte. Über allen Vorbildern jedoch stand für Turoldo die Bibel, die ihm Orientierung gab sowohl für das lyrische Schreiben wie für das konkrete soziale Engagement innerhalb der italienischen Gesellschaft seiner Zeit. Und da befand er sich in wachsender Distanz zum „Apparat Kirche“ (Turoldo), der immer die Nähe zu den politisch Mächtigen im Nachkriegsitalien suchte, zu der' einzig für Katholiken wählbaren Partei „Democrazia Cristiana'. Aber wenn sich Turoldo in seinen Gedichten und in seinem sozialen Engagement immer auch der realen Welt hier und heute zuwandte, ging es ihm dabei jedoch nicht um Parteipolitik. Der italienische Lyriker Andrea Zanzotto hat diese für Turoldo so typische Verbindung von „Mystik und Gegenwart“ in seinem Begleittext zu der großen Anthologie mit Gedichten von Turoldo sehr treffend beschrieben. Für Turoldo, so Zanzotto, stand immer das „Zwiegespräch zwischen Mensch und Gott" im Mittelpunkt seines Schreibens und Handelns, „in dem man sich im Dreck der Welt vorwärts kämpft und nach Möglichkeiten der Befreiung sucht“.

Wie heute das Gedächtnis von Padre Turoldo weiter getragen wird, kann man auf der Webseite www.centrostudituroldo.it/biografia verfolgen – allerdings ist eine Kenntnis der italienischen Sprache notwendig. In deutscher Sprache existiert nur ein schmales Bändchen mit dem Titel „Die Verzweiflung zu lieben“, in dem eine Auswahl von Gedichten aus dem Band Canti ultimi' in einer Übersetzung von Christoph Ferber publiziert sind. In diesem Band findet man auch ein Gedicht mit dem Titel „Abend in Sant'Egidio“, das diese Erinnerung an David Maria Turoldo aus Anlass seines 30.Todestages beenden soll: „Wiederum: Stille,/ ruhig ist auch der Wind,/ in der Abtei/ ist nun niemand:// aber das Tor lass ich offen:/ jemand kommt sicher:/ so erwart ich gelassen die Nacht“.

Geschrieben von Carl Wilhelm Macke (München – Ferrara)
Freitag, 11. Februar 2022

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"David Maria Turoldo - ein ,poeta prete' zwischen Meister Eckardt und Erich Fried"

Besonders danken wir auch Dr. Thomas Stauder, Privatdozent an der Universität Augsburg, dass er einer Zweitveröffentlichung seines Beitrags „David Maria Turoldo – ein ,poeta prete' zwischen Meister Eckardt und Erich Fried“, zuerst erschienen in der Zeitschrift „Zibaldone“ im Mai 1994 im Piper Verlag, zugestimmt hat.

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(PDF-Datei)


Copyrights der Fotos zu Turoldo:

1) Saint Egidio Priory Archive, Fontanella di Sotto il Monte, Bergamo
2) Saint Egidio Priory Archive, Fontanella di Sotto il Monte, Bergamo
3) Saint Egidio Priory Archive, Fontanella di Sotto il Monte, Bergamo
4) Archive of the Venetian Province of the Servants of Mary, Camillo De Piaz Fund, Vincenza
5) Saint Egidio Priory Archive, Fontanella di Sotto il Monte, Bergamo
6) Saint Egidio Priory Archive, Fontanella di Sotto il Monte, Bergamo

Aber das Tor lass ich offen

Zur Erinnerung an David Maria Turoldo aus Anlass seines 30. Todestages.


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