Fritz Bauer - ein Jurist „aus Freiheitssinn"
Trotz Bedrohung und Diffamierung ließ sich der Jurist Fritz Bauer, von 1956 bis 1968 hessischer Generalstaatsanwalt in Frankfurt, nicht vom Weg abbringen und durchbrach mit dem Auschwitzprozess und den Frankfurter Euthanasieprozessen in den 1960er Jahren endlich die „Mauer des Schweigens“ im Nachkriegsdeutschland.
Das Jüdische Museum in Frankfurt widmet diesem großen Juristen noch bis zum 7. September 2014 eine Ausstellung: „Fritz Bauer – Der Staatsanwalt“.
Für Convivio mundi Anlass auf die erste große Biografie über Fritz Bauer von Irmtrud Wojak „Fritz Bauer 1903 – 1968“, die längst überfällig im Jahr 2009 im C.H. Beck Verlag erschien, mit einer Rezension hinzuweisen.
Auf Fritz Bauers Namen stieß ich zum ersten Mal beim Kauf seines Buchs „Auf der Suche nach dem Recht“ Anfang der 1970er Jahre in einer Berliner Buchhandlung. Seither hat mir das Buch immer wieder sowohl große Freude bereitet als auch gute Dienste geleistet, denn Fritz Bauer nähert sich den bedeutenden Fragen der Jurisprudenz mit klarer Sprache unter Zuhilfenahme der riesigen Argumentations- und Begründungsarsenale der humanistischen abendländischen Kultur. Als jetzt im Verlag C.H. Beck eine von der Historikerin Irmtrud Wojak verfasste Biographie des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer erschien, dachte ich: Es war an der Zeit.
Dabei hatte Irmtrud Wojak bei ihrem Vorhaben von Anfang an mit einem erheblichen Handicap zu kämpfen: In Fritz Bauers Nachlass fanden sich keinerlei unveröffentlichte Manuskripte, keine persönlichen Dokumente, keine Fotoalben und vor allem keine privaten oder halbdienstlichen Korrespondenzen. Bauer äußerte sogar hier und da den Wunsch, anonym bleiben zu wollen. So schrieb er einmal: „Menschlich muss ich Ihnen sagen, dass ich am liebsten tagaus, tagein meine Pflicht tun will, ohne meine Anonymität aufzugeben. Warum aus dieser anonym betriebenen Tätigkeit ständig diese Publizität wird weiß ich nicht. Ich verstehe es nicht.“ Dass er im Verborgenen leben und arbeiten wollte, wäre aber nicht richtig. Davon zeugen seine vielen Vorträge, seine unzähligen Publikationen und auch seine Fernsehinterviews. Frau Wojak fragt gar, ob Bauer überhaupt ein „normales“ Privatleben führte. Sie schreibt: „Er lebte in Frankfurt das Leben eines Singles, eines heutzutage ganz gewöhnlichen Junggesellen … und wenn er nicht gerade an einem Manuskript arbeitete … war er quasi ununterbrochen unterwegs.“ Zusammengenommen könnte dies Erklärung dafür sein, weshalb es keinen persönlichen Nachlass gibt.
Eher schon könnte man sagen, dass Bauer ein durch und durch öffentlicher Mensch war, der aus seinem Herzen nie eine Mördergrube machte, ob als Chef in seiner Behörde, als politischer Aktivist in der SPD, im Reichsbanner Schwarz Rot Gold, dessen Vorsitzender in Württemberg er war, oder in der Humanistischen Union. Seine Freunde, darunter Kurt Schumacher, Richard Schmid, Walter Fabian, Prof. Ilse Staff oder Prof. Helga Einsele u. a., hatten mit diesem hochsensiblen Feuerkopf zuweilen sicherlich ihre liebe Not. Vor allem aber war Bauer öffentlich sehr präsent als Generalstaatsanwalt in mehreren aufsehenerregenden Prozessen. Zunächst 1952 in Braunschweig im sogenannten Remer-Prozess, später in den 1960er Jahren in Frankfurt in den sogenannten Euthanasie-Prozessen gegen Nazi-Mediziner und -Humanwissenschaftler, nicht zu vergessen die umfangreichen Recherchen und Vernehmungen über die Ermordung von Sinti und Roma und schließlich der große Auschwitz-Prozess 1963-65.
Fritz Bauers persönliche Lebensdaten weisen auf zahlreiche schlimme Erfahrungen hin. So machten z. B. Klassenkameraden ihn als Sohn einer angesehenen jüdischen Familie aus Stuttgart schon in der Elementarschule aus Eifersucht und Neid für den Tod von Christus verantwortlich. Das humanistische Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart durchlief er problemlos als einer der Klassenbesten. Das Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie evangelische Theologie in Heidelberg, München und schließlich Tübingen absolvierte er 1924 mit „gut“, 1927 erhielt er seine Promotionsurkunde mit „magna cum laude“. Sein Thema war „Die rechtliche Struktur der Truste“. Am 1.4.1930 wurde er im Alter von 23 Jahren zum jüngsten Amtsrichter Deutschlands ernannt. Bauer war zu diesem Zeitpunkt schon Mitglied der SPD und der Republikschutzorganisation „Reichsbanner Schwarz-Rot Gold“. Nachdem die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernommen hatten, folgte schon bald die Verfolgung von Sozialdemokraten und Kommunisten. Bauer als Jude und SPD-Mitglied wurde sehr bald aufgegriffen und in das in Württemberg berüchtigtste und größte KZ in Heuberg auf der Schwäbischen Alb verschleppt. 1935 gelang die Flucht nach Dänemark. Als die Nationalsozialisten 1942/1943 in Dänemark dieselben Säuberungsaktionen wie schon in Deutschland durchführten, gelang Bauer die Flucht nach Schweden.
Nach Kriegsende entschloss er sich zur Rückkehr nach Deutschland („ich habe allzu lange Spätzle und Sauerkraut vermissen müssen“). Seine Versuche, in Stuttgart eine angemessene Stelle in den höheren Justizorganen zu bekommen, zerschlugen sich. Sein Freund Richard Schmid konnte offenbar aus parteipolitischen Gründen ihm weder eine Stelle vermitteln noch eine Stelle versprechen. Er kam schließlich in Braunschweig unter, zunächst als Landgerichtsdirektor, später als Generalstaatsanwalt. Dort wurde 1952 auch der schon erwähnte Remer-Prozess verhandelt, mit dem Bauer Rechtsgeschichte geschrieben hat.
Ernst-Otto Remer, der für seine Rolle bei der Niederschlagung des Umsturzversuches am 20. Juli 1944 von Hitler zum Generalmajor befördert worden war, schmähte auf einer Veranstaltung der neo-nazistischen SRP die Attentäter des 20. Juli als Landesverräter, die vom Ausland bezahlt worden wären. Seine Äußerungen bildeten den Höhepunkt der politischen und juristischen Diskreditierung des Widerstands, der nach weit verbreiteter Auffassung durch kein Recht legitimiert gewesen war. Als Ankläger im Beleidigungsverfahren gegen Remer nutzte Bauer dieses Verfahren zur „Wiederaufnahme“ des Prozesses, den der Volksgerichtshof 1944 den Männern des 20. Juli gemacht hatte. Gleich zu Anfang seines Plädoyers betonte Bauer, es gehe schlicht um die Klärung der Frage, waren die Männer des 20. Juli Hoch- und Landesverräter? Bauer argumentierte, „der Krieg war am 20. Juli verloren und das deutsche Volk von seiner Regierung total verraten'“. Ein verratenes Volk könne aber nicht mehr „Gegenstand eines Landesverrats“ sein. Jeder Versuch den Krieg zu verkürzen bedeute „eine Ersparnis deutscher Menschenleben“, deshalb könne man den Beteiligten des 20. Juli nicht vorwerfen, den Vorsatz gehabt zu haben, Deutschland zu schaden – Ziel des Aufstands war „Deutschland zu retten“. Um den Vorwurf des Landesverrats auszuräumen, fragte Bauer: „War nicht jeder, der die Ungerechtigkeit des Krieges erkannte, berechtigt, Widerstand zu leisten und einen Unrechtskrieg zu verhüten?“. Seine Ausführungen zum Vorwurf des Hochverrats endeten mit der Feststellung „ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochverratsfähig“. Zum Schluss zitierte Bauer als Wichtigstes zum Widerstandsrecht noch die Rütli-Szene aus Schillers Wilhelm Tell und schweifte zurück in die Zeit, als er noch Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums gewesen war. Die damaligen Schüler, „darunter Claus Schenck von Stauffenberg, zu dessen Mitschülern ich mich zählen darf, hatten es als ihre Aufgabe angesehen, das Erbe Schillers zu wahren … Wir haben in unserem Gymnasium den Wilhelm Tell und die Rütli-Szene aufgeführt. Was dort Stauffacher sagte, tat später Stauffenberg … eingedenk unseren guten alten deutschen Rechts.“
Das Gericht schloss sich Fritz Bauers Ausführungen an und holte damit das Widerstandsrecht acht Jahre nach den Geschehnissen des 20. Juli 1944 zurück in den Katalog der Menschenrechte und einer lebendigen Verfassung.
1956 holte der hessische Ministerpräsident Georg August Zinn Bauer als hessischen Generalstaatsanwalt nach Frankfurt. Dort sollten von Anfang an die Verfahren gegen NS-Verbrecher sein Berufs- und Privatleben bestimmen. Dort fanden der große Auschwitz-Prozess und auch die Euthanasie-Prozesse statt. Alle diese Gerichtsverfahren sind von Frau Wojak glänzend beschrieben und auch die Schwierigkeiten, die persönlich für Bauer daraus erwuchsen.
Tatsächlich war es so, dass schon früh in der Bundesrepublik Deutschland eine Mehrzahl der Bevölkerung von NS-Verbrechen, von Greueltaten während des Krieges, von der bis dahin nie dagewesenen Entmenschlichung, von der tierischen Manipulation ihrer selbst nichts mehr hören wollte. Konfrontiert mit den NS-Tätern richtete sich in einem Großteil der Bevölkerung eine „Mauer des Schweigens“ auf, echtes Mitgefühl mit den Opfern des Nationalsozialismus schien unmöglich, im Gegenteil, gegen Bauer und seine Mitarbeiter richtete sich eine wahre Welle des Hasses und der Diffamierung.
Das alles war schwer zu ertragen, aber Bauer ließ sich von seiner Arbeit nicht abbringen, schulterte die übelsten Anwürfe. Seiner Gesundheit fügte der Workaholic damit schweren Schaden zu. Am 30. Juni 1968 ging sein Leben zu Ende.
Seine langjährige Freundin und Streitgenossin, Professor Ilse Staff, fand auf einer inoffiziellen Trauerfeier die persönlichsten Worte für Fritz Bauer:
„Erste kindliche Erfahrungen des Anders-Seins, nein, des Anders-Sein-Sollens, schon als tiefes Unglück empfunden, weil Trennlinien zwischen Menschen gezogen wurden, die ihm zutiefst unbegreiflich blieben. Dann später die grausame Variante desselben Themas: Fritz Bauer als junger Amtsrichter, plötzlich 1933 nicht mehr gegrüßt, isoliert, verfemt, gefangengenommen. Die Flucht, die Fahrt im kleinen Boot bei Nacht, die tiefe Angst um seine Verwandten, denen er helfen wollte … er erzählte selten von sich – ohne Vorwurf für irgendeinen Menschen, aber mit tiefer Trauer um die Menschheit. Und dennoch kam er zurück. Warum? … Weil er glaubte, dass der Mensch dem Menschen helfen könne, darum kam er zurück. Und dieser Glaube gab dem Grundton von Trauer, der wohl immer in ihm war, einen heiteren Beiklang, damals. Damals vor 10-12 Jahren … Dann kam der Auschwitz-Prozess und mit ihm die Drohungen, anonyme Telefonanrufe, Beschimpfungen. Es kam der angebliche sachliche Einwand, er sei inkompetent – er kämpfe für die Resozialisierung jedes Verbrechers, aber bei den Nazi-Mördern sei der erbarmungslos, sei er rachsüchtig … Was haben wir getan? Wir haben es im Großen wie im Kleinen zu einer Situation kommen lassen, in der er unendlich einsam, unendlich deprimiert, unendlich traurig gestorben ist …“
Eine große Biographie für den „Juristen aus Freiheitssinn“.
Irmtrud Wojak, geb. 1963, promovierte bei Hans Mommsen in Bochum. Vorliegende Biographie über Fritz Bauer ist ihre Habilitationsschrift. Sie forscht schwerpunktmäßig über Verfolgung, Emigration und Exil in der Zeit des Nationalsozialismus und über die juristische Aufarbeitung in den ersten Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Sie leitet heute den Bereich Historische Forschung beim Internationalen Suchdienst (International Tracing Service) in Bad Arolsen.
Andreas Buck schrieb diese Rezension im August 2009 für das Fachbuchjournal.
Plötzlich und für uns völlig unerwartet starb Andreas im Mai dieses Jahres im Alter von 66 Jahren.
Wir danken dem Fachbuchjournal für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.
©1. Jahrgang, Aug./Sept. 2009, Ausgabe 4, ISSN 1867–5328
Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie.
C.H. Beck, München 2009, 638 S., ISBN-Nr. 978-3-406-581154-0