In den eigenen vier Wänden bis zum Lebensende ...

Gespräch mit Ann-Kathrin Lumpe

In den eigenen vier Wänden bis zum Lebensende leben. – wahrscheinlich der Wunsch jedes älteren oder kranken Menschen. Doch Experten erklären, dass in Deutschland „lediglich 1% der Wohnungen über einen adäquaten Standard verfügen" und alters- und behindertengerecht sind. In Braunschweig forscht das Informatik- und Technologiezentrum, das der Technischen Universität angegliedert ist, an generationenübergreifenden, elektronischen Assistenzsystemen, die in einer Modellwohnung gezeigt werden. Im Gespräch mit Renate Müller De Paoli erläutert Projektleiterin Ann-Kathrin Lumpe diese Zukunftsvision.

Ann-Kathrin Lumpe

Ann-Kathrin Lumpe

Frau Lumpe, welche Funktionen sollen die elektronischen Assistenzsysteme, an denen Sie in Braunschweig forschen, übernehmen? Welche Hilfe und Unterstützung können ältere oder kranke Menschen in ihrem Alltagsleben erwarten?

Geforscht werden in den Schwerpunkten Assistierende Gesundheitstechnologien, Informationsmanagement und Informationssysteme für das Gesundheitswesen. Dabei stehen Sturzprävention, Tele-Reha-Training, Vernetzung von Akteuren und Versorgern im Gesundheitswesen und die Entwicklung neuer Verfahren der Informations- und Kommunikationstechnik für altersgerechte Lebenswelten im Vordergrund. Von der Gesundheitsprävention, die sich mit praktischen Maßnahmen (Rehabilitationsmaßnahmen, die zuhause vor dem Bildschirm mit therapeutischer Unterstützung aus der Ferne durchgeführt werden) direkt an den älteren oder kranken Menschen richtet. Bis hin zu Veränderungen in den strukturellen oder organisatorischen Prozessen unterstützt durch innovative Informations- und Kommunikationslösungen.

Also mehr Lebensqualität durch Technik?

Wir wollen die Lebensqualität der Menschen verbessern, indem wir die Ergebnisse der Wissenschaft zum Wohle der Gesellschaft nutzbar machen. Technik ist dabei nur ein Aspekt. Der Mensch steht bei all unserem Handeln und Projekten im Mittelpunkt.

Wie sieht die Handhabung dieser elektronischen Systeme aus? Viele Menschen – nicht nur ältere Menschen – haben vielfach doch schon Schwierigkeiten mit Fahrkarten- und Geldautomaten. Wie soll das funktionieren?

Wichtig ist, dass Maßnahme und Mensch zusammen passen. Das richtet sich auch nach den individuellen Bedürfnissen, den Wünschen, aber auch nach der körperlichen und geistigen Verfassung eines Menschen. Wenn ein wirklicher Nutzen wie der Erhalt der Selbstständigkeit, die Verbesserung des Erkrankungszustandes, der Verbleib in der eigenen Wohnung oder die Erhaltung sozialer Kontakte für den Nutzer erkennbar ist, sind (auch ältere) Menschen bereit, den Umgang mit technischen Systemen zu erlernen. Hierbei benötigen sie Unterstützung und besondere Ansprache durch andere, was wiederum den gesellschaftlichen Dialog fördern kann. Neue Berufszweige im Bereich Beratung und soziale Dienstleistungen können so entstehen.

Welche Überlegungen gibt es in Ihrem Forschungsprojekt, um die Gefährdung z. B. durch einen Sturz oder Schlaganfall zu minimieren?

Sturzprävention durch frühzeitiges Erkennen von Unruhezuständen, Aufstehen oder Veränderungen im Bewegungsmuster durch Sensoren. Es ist die Hoffnung, durch solche Maßnahmen Sturztendenzen im Vorfeld früher erkennbar zu machen.

Sind in Ihrem Projekt auch Ärzte, Pflege- und Sozialdienste mit ihrem Wissen und Erfahrungen beteiligt?

Wir verfügen über ein großes Netzwerk, zu dem neben Ärzten, Sozial- und Pflegeeinrichtungen auch das Handwerk, Forschungseinrichtungen, die Wohnungswirtschaft und Experten aus den Bereichen (Senioren-)Marketing, Logistik, IT, Elektrotechnik ihr Wissen in verschiedenen Projekten einbringen.

In welcher Größenordnung wird der Kostenfaktor für den Einzelnen liegen, wenn er sich für diese Assistenzsysteme entscheidet und in seiner Wohnung einbauen lässt? Könnte sich diese Hilfssysteme auch ein Rentner mit geringer Rente leisten?

Kleine Systeme oder Produktpakete sind schon für unter 500€ auf dem Markt erhältlich. Auch gibt es Möglichkeiten über Förderungsprogramme (kfw 159) den Hilfsmittelkatalog und Wohnumfeld-verbessernde Maßnahmen der Kranken- und Pflegekassen (teil-) zu finanzieren.


Wann könnte diese Technik in jede Wohnung einziehen? Welche Hürden müssen noch umschifft werden?

Mit einigen Maßnahmen, baulicher wie technischer Art, kann sofort begonnen werden. Es sind bereits viele Produkte auf dem freien Markt erhältlich. Dem privaten Nutzer, aber auch sozialen oder pflegerischen Dienstleistern fehlt allerding noch der Überblick über die entsprechenden Produkte und Möglichkeiten. Erste Beratungsstellen nehmen sich derzeit dieser Problematik an. Wir in Braunschweig sind schon einen Schritt weiter und bieten seit Mai 2013 in unserem Beratungszentrum für Assistenzsysteme und barrierefreies Wohnen eine kostenlose Erstberatung. Die dann analysierten Maßnahmen können gemeinsam mit uns geplant und koordiniert werden. Dafür wird qualifiziertes Fachpersonal aus dem Sozial- und Pflegebereich, aber auch aus dem Handwerk benötigt. Hierfür müssen Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote geschaffen werden. Als wichtige Themenfelder im Bereich Assistenzsysteme sind immer wieder der Datenschutz aber auch die Finanzierung zu nennen. Hier geht der Appel an die Politik, Städte, Kommunen, Sozial- wie Privatversicherungsträger und Wohnungswirtschaften, gesellschaftsfreundliche Lösungen zu schaffen. Es fehlen oft auch Dienstleistungen hinter den technischen Innovationen. Hier werden Stadtteil-, Quartiers- oder regionale Konzepte benötigt, um das Leben über alle Altersstufen hinweg lebenswert, unabhängig und selbstbestimmt zu gestalten.

Frau Lumpe, wir danken Ihnen.

Vita: Ann-Kathrin Lumpe

Projektleiterin generationengerechte Assistenzsysteme der gemeinnützigen Braunschweiger Informatik- und Technologie-Zentrum (BITZ) GmbH. Nach einer Ausbildung zur Krankenschwester und einem Studium Management im Gesundheitswesen koordiniert und begleitet sie Projekte und Forschungsvorhaben im Themenbereich des Ambient Assisted Living und betreut die AAL-Netzwerke GENIAAL Beraten und GENIAAL Leben.

Geschrieben von Renate Müller De Paoli
Dienstag, 18. Februar 2014

Gespräch mit Ann-Kathrin Lumpe

In den eigenen vier Wänden bis zum Lebensende ...


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