Kann es gutes Sterben geben?
Kann es gutes Sterben geben? Fragen an die Palliativmedizin.
Veranstaltung vom 9. Oktober 2012 in Hannover im Vinzenzkrankenhaus
Vortrag von Frau Dr. med. Ute Heinicke
„Der Tod ist nichts Schönes, sondern ein Skandal, denn er bedeutet das Ende meines Lebens.“ Ulrich Domdey von der Hospiz Stiftung Niedersachsen eröffnete den Abend, der zusammen mit Convivio mundi e.V. in Hannover im Vinzenzkrankenhaus veranstaltet wurde.
Angesichts der Tatsache, dass 50 % der Menschen im Krankenhaus und 25 % im Pflegeheim sterben und nicht zu Hause, stellte er die Frage, wie man diese letzte Lebensphase trotzdem so begleiten kann, dass sie nicht in Einsamkeit und Schmerzen endet.
Die Hospiz Stiftung Niedersachsen und die Palliativarbeitsgemeinschaft Niedersachsen riefen den „Runden Tisch“ für Hospiz- und Palliativarbeit in Hannover ins Leben und bilden seit Jahren ein aktives Netzwerk, das eine wachsende Zahl von Haupt- und Ehrenamtlichen umfasst, die dem Tod nicht aus dem Wege gehen wollen.
Die Allgemeinmedizinerin Dr. med. Ute Heinicke, die lange als Notärztin in der Rettungsmedizin tätig und nun seit vielen Jahren ihren Schwerpunkt in der Palliativmedizin fand, zeigte am Anfang des Vortrages verschiedene von ihren Patienten gezeichnete Karikaturen, die die spannungsvolle Auseinandersetzung mit dem Tod so deutlich machten, dass dem Publikum manchmal das Lachen im Halse stecken blieb. (z.B. Witz am Kiosk: Ist die neue „Schöner Sterben“ schon da?)
In der Medizin ist der Tod das Ende des Menschen. In den verschiedenen Kulturen der Menschheitsgeschichte stellt es sich jedoch ganz anders da. Bei den Ägyptern, der alten griechischen Kultur, den Germanen, um nur einige zu nennen, und den Weltreligionen – überall findet man die verschiedensten Vorstellungen, dass der Tod nicht das Ende, sondern der Beginn einer Reise in eine andere Welt sei. Dr. Heinicke hat in ihrer Arbeit mit Sterbenden häufig erlebt, dass sie Tage vor ihrem Tod Bilder und Träume hatten, die mit Reisen oder bereits Verstorbenen verbunden waren, die auf sie warteten. Die christliche Betrachtung des Todes, von Augustinus geprägt, beinhaltet aber auch eine Vorbereitung auf den Tod. (im 15. Jahrhundert z.B. durch Sterbebüchlein und Stundenbücher). Angesichts der Allgegenwärtigkeit des Todes im Mittelalter durch Krieg, Krankheit , Mangelernährung und Epidemien war die Vorbereitung auf das Sterben durchaus sinnvoll. Aber auch damals begleiteten die Menschen das Sterben anderer, sie verstanden den Sterbeprozess, in dem das Jüngste Gericht seinen Schrecken vorausnimmt, als letzte Bewährungsprobe, in der die Angehörigen den Sterbenden mit Gebeten und Fürbitten in seiner Glaubensfestigkeit unterstützen wollten.
Martin Luther versuchte schon 1519 in seinem „Sermon von der Bereitung zum Sterben“, Hilfestellung zur Begleitung beim Sterben anderer zu geben. 1522 beschreibt er in seiner Invocavit Predigt die Einsamkeit des Menschen im Tod, jeder müsse in eigener Person sich mit dem Sterben auseinandersetzen, vor Gott sei der Mensch unvertretbar (jüngstes Gericht).
Bis vor kurzem war es noch so, dass der Arzt den Sterbenden verließ, da er aus medizinischer Sicht nicht mehr zu heilen war.
Heute gehen wir anders damit um. Es soll ein gutes Sterben, ein sanftes Hinüberschlafen ohne Angst und Wut sein, in Begleitung vertrauter Menschen. Jedoch erleben viele Menschen ihr Lebensende - anders als in früheren Jahrhunderten - oft nicht mehr zu Hause, obwohl es ihrem Wunsch eigentlich widerspricht. Wenn aber Familien sterbende Familienmitglieder oder Freunde bei sich aufnehmen, kommt es anfangs oft zu Überforderungen. Wenn Dr. Heinicke oder Mitarbeiter des Palliativ-Dienstes zu diesen Familien kommen, helfen sie, die Symptome des als bedrohlich empfundenen Prozesses des Sterbens aufzuklären (z.B. schweres, rasselndes Atmen während einer Sterbephase). „Das gehört zum Sterbeprozess dazu. Wer das weiß, kann es leichter aushalten“. Sie beschrieb den Tod als unseren ständigen Begleiter so wie in der Musik den Basso continuo. Dr. Heinicke sagte: „Sterben bedeutet Autonomieverlust, Kontrollverlust, Siechtum und dadurch Trauer und Angst. Angst vor dem Nichts. Der ganze Sinn des Lebens wird in Frage gestellt. Der Tod ist gewiss, die Stunde ist unsicher.“ Und sie zitierte Elisabeth Kübler-Ross, die schon früh Sterbende begleitete und über diese Arbeit publizierte: „Der Tod ist der Schlüssel zum Lebenstor. Wenn jeder Tag der letzte sein könnte, muss man sich bewusst werden, nichts aufzuschieben, sondern an diesem Tag zu reifen.“
In der Sterbebegleitung steht der Patient für Dr. Heinicke im Mittelpunkt. Jeder Patient soll die verbleibende Zeit bestmöglich nutzen, um alles zu erledigen, was er noch erledigen möchte, z.B. wichtige Gespräche führen und Angelegenheiten regeln, und sich auch noch Wünsche und Träume erfüllen. Noch ziehen sich viele Ärzte bei Sterbeprozessen zurück, da es bis heute noch nicht zu ihren Aufgaben gehört.
Erfreulich ist, dass ab 2013 das Fach Palliativmedizin zum Grundstudium der Medizin gehören wird. In der Palliativmedizin kommt es auf die Qualität und nicht auf die Quantität der Zeit an. Die Medikation, die Schmerzfreiheit erreichen will, und die zuverlässige Erreichbarkeit des Palliativarztes müssen sich an dem wirklichen Bedarf des Sterbenden orientieren. Es kommt auf die Vermittlung von Sicherheit für den Patienten an. Deshalb kann die Frage, wie ein gutes Sterben aussehen könne, nur individuell beantwortet werden. Fühlt sich der Sterbende gut aufgehoben, verstanden, als Person bejaht, ist er schmerzfrei – dann ist der Grundsatz der Palliativmedizin erfolgreich umgesetzt.
Die anschließende Diskussion zeigte, wie stark die Thematik die Teilnehmer berührte. Die Frage, wie die Lebensqualität am Ende des Lebens zu verstehen sei, beschäftigte viele. „Was ist, wenn einer sagt, ich will nicht mehr leben.“ Frau Dr. Heinicke berichtete aus ihren Erfahrungen: „Im Alter erlebt man ständig kleine Verluste, deshalb muss überprüft werden, ob eine Depression vorliegt, wenn ein Patient nicht leben will. Man muss immer im Gespräch mit ihm bleiben und nach Alternativen suchen.“ Weiterhin wurde berichtet, dass in Pflegeheimen eine Palliativversorgung nicht gesichert sei. Als großes Problem beklagen die Palliativmediziner, dass sie nur bei bestimmten Krankheitsbildern wie z.B. Krebs überhaupt gerufen werden. Dadurch, dass die Menschen immer älter werden, verändert sich der Sterbeprozess. Wir stehen wir vor einer neuen Situation, für die es in der Geschichte keine Vorbilder gibt.
Frau Dr. Heinicke auf eine kleine Broschüre „Die letzten Wochen und Tage – eine Hilfe zur Begleitung“, die gegen eine Schutzgebühr bei den Palliativzentren und –vereinen erhältlich ist. Der Tod verliert dadurch nicht seinen Schrecken, aber es bleibt ein Hoffnungsschimmer.