Jahresgruß 2024
Vor nunmehr fast 230 Jahren, im Jahr 1797 schrieb Friedrich Schiller das Gedicht
Die Worte des Glaubens:
Drei Worte nenn' ich euch, inhaltschwer,
Sie gehen von Munde zu Munde,
Doch stammen sie nicht von außen her;
Das Herz nur gibt davon Kunde.
Dem Menschen ist aller Werth geraubt,
Wenn er nicht mehr an die drei Worte glaubt.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren,
Laßt euch nicht irren des Pöbels Geschrei,
Nicht den Mißbrauch rasender Thoren!
Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht,
Vor dem freien Menschen erzittert nicht!
Und die Tugend, sie ist kein leerer Schall,
Der Mensch kann sie üben im Leben,
Und sollt' er auch straucheln überall,
Er kann nach der göttlichen streben,
Und was kein Verstand der Verständigen sieht,
Das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth.
Und ein Gott ist, ein heiliger Wille lebt,
Wie auch der menschliche wanke;
Hoch über der Zeit und dem Raume webt
Lebendig der höchste Gedanke,
Und ob Alles in ewigem Wechsel kreist,
Es beharret im Wechsel ein ruhiger Geist.
Die drei Worte bewahret euch, inhaltschwer,
Sie pflanzet von Munde zu Munde,
Und stammen sie gleich nicht von außen her,
Euer Innres gibt davon Kunde.
Dem Menschen ist nimmer sein Werth geraubt,
So lang er noch an die drei Worte glaubt.
Doch können wir heute in diesen bedrückenden Zeiten Friedrich Schiller, diesem „Idealisten fern ab jeglicher Realität“, wie ihn viele schnell in ihrem Urteil abtun, überhaupt noch folgen?
Im Dezember dieses Jahres jährte sich der 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, verabschiedet 1948, drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Aber war die Erklärung die Tinte auf dem Papier wert, wie mancher in Angst, Bitterkeit und tiefer Enttäuschung klagt? Hass und Menschenverachtung, Schmerz und Leid, Terror und Krieg, Tod und Zerstörung scheinen so leichtes Spiel zu haben.
Auch Salomon Finkelstein, unser Freund und langjähriger Wegbegleiter, hat immer wieder in Gesprächen erwähnt, wie er in den Jahren in Auschwitz und Dora-Mittelbau gehadert und in tiefster Verzweiflung gefragt und gerufen hat: „Wo bist Du? Warum lässt Du das zu?“
Und so versuchte Salomon Finkelstein nach der Befreiung am Ende des Zweiten Weltkrieges mit einem „richtigen Hunger auf Freundschaft, auf Wärme und auch auf Liebe“ seine Antwort zu geben. Er versuchte, Menschen zu geben, wonach er in den Jahren der Ausgrenzung und Drangsal hungerte und was er von Anderen für sich erwartete.
Bei einem meiner Besuche kurz vor seinem Tod im Juni 2019 fragte er mich erneut nach der Lage im Nahen Osten und es brach aus diesem schon stark geschwächten Körper mit Tränen in den Augen verzweifelt heraus: „Aber es sterben doch die Kinder!“
Mögen auch wir in diesem lautem, schrillem Weltgetöse weiterhin unser „Innres“ hören und selbst in größter Bedrängnis und Verzweiflung der „Kunde“ folgen …
In diesem Sinne wünscht Convivio mundi allen,
unseren Mitgliedern, Freunden, Unterstützern und Interessierten
ein gesundes und glückliches neues Jahr und Frieden.